US-Spionagereform: Wie Obama zum Hardliner wurde

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Die NSA wird auch künftig unschuldige Amerikaner und Ausländer bespitzeln. Für eine echte Reform ist der Präsident zu sehr auf die Geheimdienste angewiesen.

Washington. Barack Obamas Wandlung vom Verfechter der Bürgerrechte zum Bewahrer des Geheimdienststaates aus der Ära seines Vorgängers George W. Bush vollzog sich bereits vor seinem Einzug ins Weiße Haus am 20. Jänner 2009. Noch vor seiner Angelobung ließen ihn die Geheimdienste wissen, dass eine Gruppe somalischer Extremisten einen Terroranschlag auf die Inaugurationsfeierlichkeiten in Washington aushecke. Dieses Gerücht erwies sich zwar recht bald als reine Erfindung, doch es erfüllte seinen Zweck: Der unerfahrene Präsident schreckte aus seinen Träumen über die Einhegung der geheimdienstlichen Exzesse bei der Überwachung seiner Bürger auf. David Axelrod, Obamas engster Berater jener Tage, nannte die Somali-Warnung einen „Willkommen-in-der-Profiliga-Moment“.

Elf Monate später war Obama endgültig ins Lager der geheimdienstlichen Falken gewechselt. Zu Weihnachten 2009 scheiterte der nigerianische Islamist Umar Farouk Abdulmutallab an Bord eines Fluges von Amsterdam nach Detroit bei dem Versuch, beim Landeanflug eine Bombe in seiner Unterhose zu zünden. Abdulmutallab verbrannte sich dabei zwar nur die eigenen Genitalien, doch Obama war zutiefst verärgert darüber, dass die Nachrichtendienste diesen Anschlagsplan nicht vorzeitig vereitelt hatten.

Die ewige Angst der Demokraten

Diese Erfahrungen im ersten Jahr seiner Präsidentschaft erklären, weshalb Obama am Freitag nur ein paar kosmetische Änderungen an der massenhaften Überwachung aller amerikanischen und unzähliger ausländischer Mobiltelefone vorschlagen wird. Die National Security Agency (NSA) wird auch künftig nach Belieben und unter bloß flüchtiger richterlicher Kontrolle die Namen, Rufnummern, angerufenen Nummern und Rufzeiten von Millionen unschuldiger Handybenutzer zu detaillierten Fahndungsprofilen verknüpfen dürfen, um etwaigen unbekannten Telefonnummern von Terrorverdächtigen auf die Spur zu kommen. Und die Bundespolizei FBI wird weiterhin ohne vorherigen Gerichtsbeschluss Telekommunikationsunternehmen mit sogenannten National Security Letters zur Herausgabe privater Kundendaten zwingen dürfen.

Obama greift diese machtvollen Freiheiten von NSA und FBI aus demselben Grund nicht an, der seit Jahrzehnten demokratische Präsidenten umtreibt: Von Harry Truman über John F. Kennedy bis Bill Clinton hat noch jeder linksliberale Amtsinhaber im Weißen Haus alles Erdenkliche getan, um vom politischen Gegner und der Masse konservativer Bürger nicht als sicherheitspolitischer Weichling abgetan zu werden.

Truman hatte den Korea-Krieg, Kennedy die Invasion in der Schweinebucht, Clinton die Intervention in den Balkan-Kriegen. Obama kann sich rühmen, dass Osama bin Laden unter seiner Regierung zur Strecke gebracht wurde. Doch die Trophäe des berüchtigtsten Terroristen der Welt wäre wertlos, wenn es während Obamas Amtszeit einen neuen Terroranschlag auf amerikanischem Boden gäbe. Das würde sofort auf die liberale Gesinnung des früheren Chicagoer Sozialarbeiters und Harvard-Rechtsprofessors Obama zurückgeführt werden.

NSA-Macht ist Preis für Truppenabzug

Der Präsident lässt aber auch aus einem zweiten Grund die Finger von einer grundlegenden Geheimdienstreform. Er ist eine direkte Folge seines wichtigsten Wahlversprechens, alle amerikanischen Truppen aus dem Irak und Afghanistan zurückzubringen.

Der Abzug der US-Armeen hinterlässt einen sicherheitspolitischen Leerraum, in dem sich die Feinde Amerikas neu formieren können; al-Qaidas Erstarken im Irak und die Rückkehr der Taliban in Afghanistan belegen das. Um zu vermeiden, dass der Zweck der beiden längsten Kriege in der Geschichte der USA samt tausenden toten Soldaten im Nachhinein vereitelt wird, ist Obama auf die Drohnen der CIA und die Überwachung des Fernmeldeverkehrs aus dem Nahen Osten durch die NSA angewiesen.

Auf den Tag genau 53 Jahre vor Obamas Ankündigung über seine Geheimdienstreform warnte Dwight D. Eisenhower in seiner Abschiedsrede vor dem „unberechtigten Einfluss des militärisch-industriellen Komplexes“ auf die US-Regierung und dem „Potenzial für den desaströsen Aufstieg unzulässiger Macht“. Aus den geschilderten Gründen wird Obama von einer ähnlichen Warnung vor dem „geheimdienstlich-industriellen Komplex“ Abstand nehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2014)

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