Hannes Reichelt sorgte in Kitzbühel für den ersten ÖSV-Abfahrtssieg seit 2006. Er wurde von Schmerzen zur schnellsten Linie getrieben.
Der ganze Aufwand hat sich also doch gelohnt. Das Kitz-Spektakel konnte tatsächlich seinen Lauf nehmen, die Investitionen waren nicht für die Katz oder für die Gams, auch wenn der Abfahrtsklassiker der Hausbergkante beraubt wurde. Das Rennen der Rennen wurde mit einem unglaublichen Aufwand gerettet – und am Ende wurde es ein rot-weiß-rotes Skifest. Mit einem Schlag wurde die österreichische Sieglosigkeit auf der Streif beendet, zudem der erste Sieg in der Königsdisziplin seit Dezember 2012 errungen. Von jenem Mann, der eigentlich gar nicht am Start hätte stehen sollen, weil ihn Kreuzschmerzen fast ans Bett fesselten. Aber Hannes Reichelt, der am Vorabend noch eher an Absage dachte, hat die Zähne zusammengebissen, um zu seinem großen Streifzug auszuholen.
Nur mit der Technik. Hannes Reichelt ist als letzter der Topgruppe mit Startnummer 22 ins Rennen gegangen, mit den Fahrten seiner Konkurrenten hatte er sich oben am Start nicht beschäftigt. Er hatte keine Ahnung von Traumlauf eines Bode Miller, er hatte auch die fantastische Leistung von Aksel Lund Svindal gar nicht mitbekommen. „Ich hatte“, meint der 33-Jährige Salzburger, „genug mit mir selber zu tun.“ Er wollte das Rennen nur hinter sich bringen, sich den Schmerzen verbeißen, das Beste aus der misslichen Lage machen. Noch am Vormittag musste er sich einer Therapie unterziehen, im Ziel konnte er sich nur schwer auf den Beinen halten. Er riss zwar die Arme in die Höhe, nur das Glücksgefühl war stärker als der Schmerz. „Ich habe gewusst, dass ich technisch sauber fahren muss, um den Rücken zu schonen.“ Er war beinahe zur Bestzeit gezwungen.
Immer dann, wenn der ÖSV gegen Sieglosigkeit ankämpft, kommt oft ein Salzburger daher. Der letzte österreichische Triumph im Hahnenkamm-Klassiker war Michael Walchhofer im Jahr 2006 gelungen. Der Hotelier ist in Zauchensee daheim, Hannes Reichelt kommt aus Altenmarkt, wohnt mittlerweile in Radstadt. Ein goldener Boden für den heimischen Skisport.
Der Aufwand hat sich nicht nur für Kitzbühel gelohnt. Sondern auch für Reichelt. Der Hobby-Pilot, der in seiner Karriere schon so oft Zweiter war, hat am Hahnenkamm zum Höhenflug angesetzt. „Es ist unglaublich“, meint er. „Ich muss sagen, das ist einfach nur geil. Vor diesem Publikum als Erster abzuschwingen, das ist unbeschreiblich. Da geht nichts drüber, das ist das Schönste.“ Nach so einem Triumph müsse man erst eine Nacht drüber schlafen, um das alles zu begreifen. „Ich will das genießen, aufsaugen.“
Reichelt, der nun bei sieben Weltcupsiegen hält, darf sich erfolgreicher Gams-Jäger bezeichnen. Und eine Gondel der Hahnenkammbahn wird bald seinen Namen tragen. „Da stehen Namen von den Größten oben – ein Klammer, Maier, Eberharter, Cuche etc. Ich kann das gar nicht glauben, dass ich da jetzt dazugehören soll.“ Wobei Hannes Reichelt immer wieder betont, wie sehr er sich überwinden musste. „Jetzt bin ich froh, dass ich es getan habe."
Der Routinier, der eigentlich aus dem Riesenslalom kommt, erst später auf der Abfahrt landete, hatte im Training noch fehlenden „Killerinstinkt“ beklagt. Mittlerweile ist Hannes Reichelt Österreichs heißestes Abfahrtseisen. „Als ich das erste Mal in Kitzbühel war“, erinnert er sich, „bin ich mit Stephan Eberharter und Hans Knauss gemeinsam zum Start gefahren. Die haben wilde Geschichten erzählt. Und ich habe mir gedacht, dass überlebst du nie.“ Wackelige Knie, die gibt es beim Salzburger nicht mehr.
Miller frustriert. Ein wenig mit dem Sieg spekuliert hat Aksel Lund Svindal, der Norweger aber muss weiter auf seinen ersten Kitzbühel-Abfahrtserfolg warten. Er trug es mit Fassung – zum Unterschied von Bode Miller. Dem US-Amerikaner, der das Training dominiert hat, stand die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. „Eine meiner bittersten Niederlagen“, sagt der 36-Jährige.
Am heutigen Sonntag werden Super G (10.15 Uhr) und Kombination (Slalom 15.15) ausgetragen. Es geht also um viele Weltcuppunkte.