Ein "Musterland" in den roten Zahlen

HUNDSTORFER
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Es werden zwar laufend Jobs geschaffen, aber nicht genug, um die steigende Masse Arbeitswilliger aufzufangen. Im Jänner erreichte die Arbeitslosigkeit ihren vorläufigen Höchststand.

Wien. Auch wenn Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) nicht müde wird zu betonen, dass Österreich im EU-Vergleich ein „Musterland“ sei – Ende Jänner erreichte die Arbeitslosigkeit hierzulande einen traurigen Rekord: Sie stieg im Vorjahresvergleich um 9,5Prozent auf 449.668 Personen (inklusive Schulungsteilnehmer). Das ist die höchste absolute Arbeitslosigkeit in der Geschichte der Zweiten Republik. Die Arbeitslosenquote liegt mit 9,8Prozent zwar noch unter dem bisherigen Höchststand von 14,1Prozent im Jänner 1954, dennoch ist dies ein neuer Höhepunkt. Aber wie wird sich die Lage weiter entwickeln? „Die Presse“ hat die wichtigsten Fakten.

1 Warum ist die Arbeitslosigkeit jetzt höher als im Krisenjahr 2009?

2009 sank das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 3,8Prozent – so stark wie nie seit 1945. Darauf folgten zwei Jahre der Erholung, sie war jedoch in Summe zu schwach, um das steigende Angebot an Arbeitskräften aufzufangen und die Folgen des Einbruchs auszubügeln. Grundsätzlich gilt die Faustregel, dass es zumindest zwei Prozent Wachstum braucht, damit die Arbeitslosigkeit sinkt. Diese ist auch heuer nicht erfüllt – prognostiziert sind 1,7Prozent. Also steigt die Arbeitslosigkeit langsam, aber stetig weiter, obwohl laufend neue Jobs geschaffen werden.

2 Wie lange wird die Arbeitslosigkeit noch weiter steigen?

Auf jeden Fall noch heuer – aber nur im jeweiligen Vorjahresvergleich. Die 450.000 dürften nicht mehr erreicht werden, da der Stand im Jänner immer sein Jahreshoch erreicht. So gibt es im Sommer in der Regel um rund 100.000 Arbeitslose weniger als im Winter. Wie sich 2015 entwickelt, hängt von der Konjunktur ab. Das Arbeitsmarktservice (AMS) rechnet damit, dass die Arbeitslosigkeit ab spätestens Ende 2015 zurückgeht. Entwickelt sich die Wirtschaft schlechter als erwartet, steigt sie aber weiter.

3 Wie ist die Arbeitsmarktlage für Jugendliche?

Ende Jänner gab es mit 52.000 um 3,5Prozent mehr Arbeitslose im Alter von 15 bis 24 Jahren. Die Zahl der Lehrstellensuchenden stieg um 7,2Prozent auf 5544 – während die offenen Lehrstellen um 15,5Prozent zurückgingen. Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien (IHS) alarmiert das aber noch nicht: „Das wird sich allein schon aus demografischen Gründen verbessern“, so Hofer – weil immer weniger Junge nachkämen.

4 Wie wirkt sich die Alterung der Gesellschaft aus?

Die Demografie zeigt sich auch bei den älteren Arbeitslosen: Die Zahl der Menschen ab 50 ohne Job stieg im Jänner um ein Fünftel auf knapp 92.000. Das liegt unter anderem daran, dass das Angebot an auf dem Arbeitsmarkt verfügbaren Menschen über 50 Jahren steigt, auch, weil frühere Pensionsreformen greifen und die Menschen nun in der Arbeitsmarktstatistik aufscheinen statt in den Pensionszahlen. Es steigt aber auch die Beschäftigung in dieser Gruppe: Zuletzt um 4,7Prozent auf 779.000.

5 Warum steigt die Arbeitslosigkeit bei Frauen stärker als bei Männern?

Die Arbeitslosigkeit der Frauen stieg um 12,1Prozent, jene der Männer nur um 7,8Prozent. Bislang war das oft umgekehrt, da die Krise vor allem „männliche“ Branchen wie den Bau traf. Gemäß einem jahrzehntelangen Trend strömen aber immer mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt, das heißt, das Arbeitskräfteangebot wächst. Zudem greift die Krise auf „weibliche“ Branchen wie den Handel über.

6 Warum steigt die Ausländerarbeitslosigkeit so stark?

Die Zahl der arbeitslosen Ausländer war im Jänner mit 91.000 um 15 Prozent höher als im Jänner 2013. Das liegt zum einen am stark steigenden Angebot arbeitswilliger Ausländer durch die Zuwanderung. Aber Ausländer sind auch öfter in „konjunkturell schwierigeren“ Jobs beschäftigt, wie Hofer vom IHS sagt. Etwa auf dem Bau oder in Gesundheitsberufen. Die Arbeitsmarktöffnung für Rumänen und Bulgaren schlägt sich in den aktuellen Zahlen noch nicht nieder.

7 Was können Politiker gegen die steigende Arbeitslosigkeit tun?

Experten verweisen stets auf die Bedeutung von Bildungsreformen: Schließlich ist keine oder auch die falsche Ausbildung das größte Risiko, arbeitslos zu werden: Die Hälfte der Arbeitslosen hat nur einen Pflichtschulabschluss. AMS-Chef Johannes Kopf und Karl Aiginger, Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo), empfehlen die Senkung der Lohnnebenkosten und der Steuern auf Arbeit, um die Beschäftigung zu erhöhen. Aiginger forderte am gestrigen Montag, Anfang 2015 mit einem „symbolischen Schritt“ zu starten und die Sozialabgaben für Personen mit einem Bruttoeinkommen unter 24.000 Euro im Jahr um einen „Hunderter“ zu senken. Auch die Förderung von Forschung und Entwicklung führe zu mehr Wachstum und Beschäftigung, so Hofer vom IHS.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2014)

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