Bernhard Russi: »Es geht doch um den Applaus«

Franz Klammer und Bernhard Russi
Franz Klammer und Bernhard RussiAPA/dpa/dpa Oly
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Bernhard Russi liegt Skifahren im Blut. Der Schweizer Olympia-Sieger spricht über Gold und Geld, erklärt den Abfahrtsmythos, den Wandel des Sports und den Reiz, Pisten zu entwerfen.

Der Skisport wird von vielen Mythen begleitet. Warum gilt aber die Abfahrt als Königsdisziplin?

Bernhard Russi: Fragen Sie doch einen Abfahrer, der kann es Ihnen sofort und viel leichter beantworten. Nein, Spaß beiseite, natürlich gibt es diesen Mythos. Der lebt doch in jedem Rennen neu auf, man sucht den schnellsten Weg ins Tal. Es geht um Schwierigkeiten, das Beherrschen von Ski, Piste und seiner selbst. Die Suche nach der Ideallinie und das Tempo, die Technik. Wenn das kein Mythos für die Königsdisziplin ist, weiß ich nicht weiter. Als Abfahrer beherrschst du den Berg! Das ist die Bedeutung, sie ist die Faszination.

Sind Abfahrer die besseren Skifahrer?

Nein, nein – verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Abfahrer sind mutig, sie können sehr gut Ski fahren. Aber, und das meine ich ernst, sie brauchen doch auch Glück. Wenn sie unten stehen, geht es nur noch um Sieg oder Niederlage. Im Riesentorlauf darfst du zweimal ran, musst aber zweimal super fahren. Oder im Slalom – du meisterst einen künstlichen Parcours. Und der Abfahrer meistert alle Hürden im Highspeed.

Warum sind Skierfolge so wichtig? Wie groß ist ihre Bedeutung in Österreich, in der Schweiz?

Die ist enorm! Da sind wir gleich, die Tradition prägt das Verlangen nach Siegen und Helden. Abfahrer sind gute Skifahrer, da habt ihr Topleute. Nehmen wir Sailer, Schranz, Klammer, Maier – das waren alle nicht nur Geradeausfahrer, sondern wirklich gute Skifahrer, Allrounder. Die haben wir auch, und deshalb will jeder, dass sie gewinnen. Und wenn sie gewinnen, steigen Stolz und Respekt.

Österreich feierte zuletzt 2002 in Salt Lake City Abfahrtsgold durch Fritz Strobl...

... ich weiß, worauf Sie hinauswollen, ganz logisch. Ach, eine Olympia-Abfahrt gibt es doch nur alle vier Jahre, es ist das Highlight der Spiele, und da kann wirklich viel passieren. Ihr habt gute Fahrer, schaut doch nicht andauernd auf diese Statistik. Die Qualität war immer da, nur der Zufall wollte es eben nicht und spülte Überraschungen an die Spitze.

Wie wird man Olympia-Sieger?

Olympia verlangt Härte. Du musst den Druck meistern, eben an diesem einen Tag. Du musst ein Zocker sein. Kennen Sie diesen Begriff? Wer kein Zocker oder Gambler ist, zumindest im seriösen Verständnis, wird nie gewinnen.

Und dann, was ändert sich im Leben?

Alles. Es gibt andere, neue Grenzen, du wirst erkannt, du bist bekannt. Als man mich einmal in China als besten Skifahrer der Welt vorgestellt hat, haben die Leute auch gestaunt. Das war imposant, weil die Chinesen mit einer Abfahrt doch überhaupt nichts anfangen konnten. Du genießt es, ich finde es wunderschön. Und du bleibst immer im Gespräch.

Sie haben diese Olympia-Abfahrt entworfen, 30 bis 40 Pisten tragen im Weltcup Ihre Handschrift. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Das war leicht, ich erfülle doch alle Anforderungen für diesen Job. Ich entwerfe Pisten, ich will aber, dass immer der beste Skifahrer gewinnt. Mir sind Hindernisse wichtig, ich lege Wert auf Tempo, auf hohen Schwierigkeitsgrad, mit wenig Gleitstücken. Es muss eine gesunde Mischung sein, Kraft soll entscheiden. Natürlich, das Material spielt eine große Rolle, es wird immer besser, aber meine Pisten auch.

Verspürt ein Profi eigentlich Angst? Kennt er sie überhaupt, wenn er mit 120km/h, nur mit Helm und Rückenprotektor geschützt, über eine Piste rast?

Wenn Sie einen aktuellen Fahrer fragen, wird er definitiv Nein sagen, sonst könnte er ja gleich aufhören. Ex-Fahrer wie ich sagen aber in aller Deutlichkeit: Ja. Ich hatte sogar Todesängste! Aber die hat man nur, wenn man nicht in Form ist. Bist du Favorit, hast du überhaupt keine Angst. Da willst du nur gewinnen. Das liegt Skifahrern im Blut.

Welchen Stellenwert nimmt Ruhm ein? Es kann ja auch unangenehm werden, wenn man überall erkannt wird.

Als Spitzensportler strebst du nach Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Es geht um Anerkennung – wir alle wollen auf die große Bühne, ins Rampenlicht. Wir brauchen den Applaus, da sind wir in einer Kategorie mit Schauspielern oder Politikern. Ruhm ist wichtiger als Geld, darum macht man diesen Wahnsinn. Es geht um den Applaus!

Geld ist nicht so wichtig?

Nein, das spielt keine Rolle. Allerdings war ich immer glücklich, wenn ich genug davon hatte und gut leben konnte. Ich trauere aber keine Sekunde darum, dass ich nicht Tennisspieler oder Fußballer war. Früher hat man zwar weniger im Skisport verdient als heute, aber für mich war es immer noch genug.

Wie sehr haben sich die Skirennen im Lauf der Jahre verändert?

In Wahrheit ist vieles gleich geblieben, da bin ich mir sicher. Natürlich gibt es heute besseres Material, und es wird viel mehr Wert auf Sicherheitsaspekte gelegt. Das war früher ja komplett anders. Es geht immer noch um Wunsch, Willen, Können, nur das Umfeld ist anders, professioneller geworden. Aber, und da bin ich mir auch sicher, Speed-Rennen brauchen noch mehr künstliche Hindernisse, für die Attraktion. Es müssen Hindernisse sein, die Tempo vor schweren Passagen herausnehmen.

Wenn Sie heute Rennen verfolgen, juckt es Sie da nicht, noch einmal mitzufahren?

Nein, dieses Bedürfnis habe ich nie verspürt. Das ist vorbei, ich hatte eine schöne Karriere. Ich habe keine Sekunde daran gezweifelt. Es war richtig, es ist vorbei. Aber jetzt, hier bei den Spielen, da ist kurz der Wunsch aufgeflackert, doch noch einmal mitzumachen. Beim letzten Sprung noch einmal so richtig schnell herauszuschießen, das wäre schön. Aber wirklich sein muss es dann doch wieder nicht.

Speed-Spektakel

Die Skibewerbe von Sotschi beginnen heute mit der Herrenabfahrt (8 Uhr, live in ORF eins).

Im dritten und letzten Training war Bode Miller (USA) der Schnellste. Matthias Mayer schwang vorzeitig ab und ließ sich damit ebenso wie Max Franz nicht in die Karten blicken. Das ÖSV-Quartett komplettieren Klaus Kröll und Georg Streitberger.

Steckbrief

1948
kam Bernhard Russi in Andermatt zur Welt.Mit 19 Jahren stieg er in den Schweizer Skikader auf.

1968
gab Russi im Riesentorlauf in Bad Hindelang sein Debüt im Weltcup.Im Jahr darauf brach er sich bei einem Einsatz als Stuntman für den James-Bond-Film „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ einen Halswirbel und fiel mehrere Monate aus.

1970
feierte Russi wenige Monate nach seinem Comeback in der WM-Abfahrt in Gröden gleichzeitig seinen ersten Weltcupsieg. Insgesamt gewann er in seiner Karriere neun Abfahrten und einen Riesentorlauf.

1972
fuhr Russi bei den Olympischen Spielen in Sapporo in der Abfahrt zu Gold. Vier Jahre später folgte in Innsbruck Silber.

1978
erklärte Russi seinen Rücktritt. Bereits zwei Jahre zuvor begann er mit dem Planen von Abfahrtspisten. Vor Sotschi gestaltete er die Olympia-Pisten in Calgary (1988), Kvitfjell (1994), Nagano (1998) und Salt Lake City (2002).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2014)

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