Die Schweizer Wirtschaft ist nach der Abstimmung vom Sonntag, in dem sich 50,3 Prozent für Zuwanderungsquoten aussprachen, verunsichert.
Wien. „Wir werden jetzt in eine Phase der Unsicherheit eintreten“, so der Präsident des Schweizer Arbeitgeberverbands, Valentin Vogt, im Schweizer Fernsehen. Unsicherheit sei für die Wirtschaft schlimmer als schlechte Nachrichten. Unter Schweizer Unternehmern herrscht über das Referendum, in dem sich 50,3 Prozent der Teilnehmer für Zuwanderungsquoten aussprachen, großes Unbehagen. Weil sich noch gar nicht abschätzen lässt, wie die Initiative ausgelegt wird. Manche äußern ihre Zweifel sehr direkt – etwa der Basler Pharmakonzern Novartis: Das Unternehmen nehme den Volksentscheid mit Sorge zur Kenntnis, denn der Erfolg von Novartis stütze sich maßgeblich auf die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte, zitiert die „Basler Zeitung“ den Konzern.
Laut dem Österreichischen Außenministerium leben in der Schweiz 50.000 Österreicher. Auch Christian Keuschnigg, Leiter des Wiener Instituts für Höhere Studien (IHS), pendelt zwischen Wien und St.Gallen, wo er an der renommierten Wirtschaftsuniversität unterrichtet. „Am gewichtigsten ist die Unsicherheit, die durch dieses Ergebnis erzeugt wird“, sagt Keuschnigg zur „Presse“. Schwierigkeiten schaffen könnten Zuwanderungsbeschränkungen für die zahlreichen multinationalen Konzerne, die ihren Sitz in der Schweiz haben. Die Hauptfrage sei, wie das Ergebnis umgesetzt wird, ohne dass bilaterale Verträge verletzt werden. „Ich glaube schon, dass das Land mit der Abstimmung ein Risiko eingegangen ist“, so Keuschnigg.
Die Schweizer Wirtschaft wuchs im Vorjahr laut EU-Prognose um 1,7Prozent – während die Eurozone um 0,4Prozent schrumpfte. Die Arbeitslosenquote ist mit 3,9Prozent niedriger als in Österreich. Es stimmten gerade Kantone, in denen die Arbeitslosigkeit gering ist (etwa Appenzell, Obwalden und Nidwalden), für die Initiative. Genf und das Wallis, wo es mehr Arbeitslose gibt, lehnten sie ab. Ähnlich kam Zustimmung aus ländlichen Regionen, wo weniger Ausländer leben – und Ablehnung aus dem städtischen Raum, wo mehr Ausländer leben, was Keuschnigg als Ergebnis „diffuser Ängste“ interpretiert. Er erwartet Beschränkungen der Zuwanderung eher im niedrig qualifizierten Bereich: „Die Schweiz war schon immer sehr liberal, wenn es um hoch Qualifizierte geht.“ Im Gesundheits- und Universitätswesen gebe es bereits jetzt Fachkräftemangel.
IV: „Ungewollt positive Auswirkungen“
Die österreichische Industriellenvereinigung (IV) sieht in der Anti-Zuwanderungs-Initiative kein gutes Signal für die Schweizer Wirtschaft. Für Österreich könnte sie jedoch „ungewollt positive Auswirkungen“ haben, sagt IV-Generalsekretär Christoph Neumayer: Indem man Fachkräfte, die wegen der neuen Bestimmungen nicht in die Schweiz gehen dürfen, nach Österreich zu holen versucht.
Das Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft warnt, dass die Verunsicherung der Wirtschaft Investitionen hemmen und sich negativ auf den Arbeitsmarkt auswirken könnte. Traditionell haben die Schweizer bei Volksabstimmungen die Interessen der Wirtschaft im Blick. Viele Referenden in den letzten Jahren fielen zugunsten der Wirtschaft aus: 2012 stimmte etwa eine große Mehrheit gegen zwei zusätzliche Urlaubswochen. Doch diese pro-wirtschaftliche Haltung hat sich zuletzt abgeschwächt. Voriges Jahr stimmten 68 Prozent für die Begrenzung von Managergehältern und Boni aus. Obwohl die Wirtschaft gewarnt hatte, dies werde internationale Konzerne vertreiben und Arbeitsplätze kosten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2014)