Was den Fall Edathy zur Streubombe für die GroKo macht

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Das Vertrauen ist dahin, die Kinderporno-Affäre löst eine schwere Krise der Koalition aus. Wie konnte es so weit kommen?

Berlin. Ein eben noch allseits geachteter SPD-Abgeordneter, der wegen des Verdachts auf Kinderpornografie vor den Trümmern seiner Existenz steht. Ein CSU-Minister, der offenbar Amtsgeheimnisse verraten hat und zurücktreten muss. Und das dürfte erst der Anfang sein. Schon nach zwei Monaten steht die Große Koalition in Deutschland vor einer schweren Krise. Unionspolitiker fordern die SPD-Granden auf, sie sollen an Eides statt erklären, dass sie Sebastian Edathy nicht vor drohenden Ermittlungen gewarnt haben. Der Vorwurf der Strafvereitelung steht im Raum. In der bayerischen CSU schwört man Rache: Auch bei den Sozialdemokraten sollen nun Köpfe rollen, am besten der von Thomas Oppermann. Der Fraktionschef hatte Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich, seinen alten Rivalen im Kampf um das Innenressort, ans Messer geliefert. Eine solche Stimmung der Verbitterung und des Misstrauens gab es selbst in den düsteren Phasen von Schwarz-Gelb nicht. Die Affäre läuft mit der Unausweichlichkeit einer griechischen Tragödie ab. Hier die Zusammenhänge.

1Warum musste Minister Friedrich zurücktreten?

Im Spätsommer erhielt das Bundeskriminalamt von kanadischen Ermittlern eine Liste von 800 Deutschen, die im Internet Fotos und Videos von nackten Knaben bestellt hatten, zum Teil unter, zum Teil über der strafrechtlichen Grenze zur Kinderpornografie. Darunter, als minder schwerer Fall, Edathy. Dass der Innenminister davon erfährt, ist ein normaler Vorgang. Friedrich aber steht vor einem Dilemma: Behält er sein Wissen für sich, dann macht SPD-Chef Sigmar Gabriel den verdienstvollen Edathy, der sich als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses bewährt hat, vermutlich zum Staatssekretär. Später würde es heißen, Friedrich habe die SPD ins offene Messer laufen lassen. Informiert er Gabriel, verrät er vielleicht ein Amtsgeheimnis. Friedrich optiert für die vertrauensbildende Maßnahme – hoffend, dass die Sache strafrechtlich irrelevant bleibt. Sie blieb es nicht.

2Warum hat die Staatsanwaltschaft so lange gezögert?

Auch die Staatsanwälte in Hannover stehen im Herbst vor einem Dilemma: Die Erfahrung lehrt, dass Pädophile, die Fotos von nackten Knaben bestellen, meist auch zu härterem Material greifen, bei dem Missbrauch im Spiel ist. Ermitteln sie aber zu Unrecht gegen Edathy, ist er beruflich dennoch geliefert. Sie warten ab, was Kollegen in anderen Städten in ähnlichen Fällen von der Liste machen. Schließlich beantragen sie die Aufhebung der Immunität. Doch knapp bevor ihr Brief (geöffnet) im Bundestag einlangt, tritt Edathy zurück.

3Hat Sebastian Edathy Beweismaterial vernichtet?

Edathy bestreitet es. Aber laut „Spiegel“ und „Welt“ sieht es ganz danach aus. Bei der Razzia erkannten die Ermittler anhand von Leitungen und Staubspuren, dass Computer entfernt wurden. Zudem fanden sie Splitter einer zerstörten Festplatte. Edathy behauptet, darauf hätten sich vertrauliche Daten zum NSU-Ausschuss befunden.

4Wer aus der SPD könnte Edathy gewarnt haben?

Gabriel weihte im Oktober Frank-Walter Steinmeier (heute Außenminister) und Oppermann ein. Seit Mitte Dezember weiß auch die neue Fraktionsgeschäftsführerin Christine Lambrecht von dem Verdacht – ihre Bestürzung vor wenigen Tagen war also gespielt. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius wusste ebenfalls Bescheid. Nach der Version Edathys war eine Warnung nicht nötig: Schon als im November die Kanadier ihre „Operation Spaten“ publik machten, ahnte er das Unheil, zog sich beruflich zurück und bot den Ermittlern über seinen Anwalt seine volle Kooperation an. Aber ist das Timing seines Rücktritts Zufall?

5Warum schießen sich Union und Opposition auf Oppermann ein?

Oppermanns öffentliche Erklärung war eine Flucht nach vorn. Medien hatten davon Wind bekommen, dass die SPD-Führung schon lange Bescheid wusste. Er gestand aber auch ein Telefonat mit BKA-Chef Ziercke ein. Von ihm hatte er wissen wollen, ob es zu Ermittlungen kommt. Das könnte Oppermann als Anstiftung zum Geheimnisverrat zum Verhängnis werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2014)

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