Stadtplanung: Wie groß kann Wien noch werden?

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Bis 2035 wird die Bundeshauptstadt die Zwei-Millionen-Marke überspringen. Weil der Grünraumanteil bestehen bleiben soll, sind aber binnen zehn Jahren alle Brachen verbaut.

Wien. Wien wächst. Ob man das gut findet oder nicht: Ihren tiefsten Stand innerhalb von mehr als 100 Jahren – knapp unter eineinhalb Millionen Einwohner im Jahr 1988 – hat die Bundeshauptstadt längst hinter sich. Zu Jahresbeginn waren es 1,74 Millionen. Noch vor 2035 dürfte die Zwei-Millionen-Marke, spätestens 2045 der Allzeithöchststand von 1910, nämlich 2,08 Millionen Menschen, überschritten sein.

Was die Frage aufwirft: Wie groß kann so eine Stadt eigentlich werden? Und zwar ohne ihre – im Falle Wiens anerkannt hohe – Lebensqualität zu gefährden? „Wir sind in der dynamischsten Phase der Wiener Baugeschichte“, stellt der grüne Planungssprecher Christoph Chorherr fest. Denn während vor hundert Jahren die Bevölkerungszahl noch höher war als heute, lebten heute „eben nicht mehr sieben Menschen in einem Raum“; die gestiegene Lebensqualität mache umfangreiche Bauten notwendig, um die Stadt auf ihr Wachstum einzustellen.

Künstliche Platzknappheit

Im Wesentlichen wird städtisches Wachstum überall auf der Welt durch zwei Faktoren beschränkt: die vorhandenen Ressourcen und die Infrastrukturen, die sie erschließen. Im Fall Wiens heißt die knappste Ressource Platz; eine künstliche Knappheit, weil die Stadtpolitik seit Karl Luegers Entschluss zur Schaffung eines Grüngürtels 1905 konsequent daran festgehalten hat, einen großen Teil der Stadt für Wälder, Felder, Parks und Wiesen zu reservieren. Auch Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) hielt bei einem Pressegespräch am Dienstag fest, den Anteil der Grünflächen, etwa die Hälfte des Stadtgebiets, im Rahmen des bevorstehenden Stadtwachstums nicht senken zu wollen.

Was nur noch zwei Varianten offen lässt, wie mehr Menschen innerhalb der Stadtflächen Platz finden können: erstens die Nutzung von Brachflächen in der Stadt. Dieser Methode nimmt sich die Wiener Politik derzeit an – mit neuen Stadtteilen, die etwa auf dem Flugfeld Aspern, an der Trabrennbahn Krieau oder auf dem Nordbahnhof-Areal entstehen sollen (siehe Karte).

„In den kommenden zehn Jahren werden wir das Wachstum über Bahnhofs-, Kasernen- und andere brachliegende Areale abfangen können“, sagt SPÖ-Planungssprecher Omar Al-Rawi, danach werde man mit „kleineren Flächen“ arbeiten müssen.

Soll heißen: In zehn Jahren, wenn Flugfeld und Co. verbaut sind, bleibt nur noch die zweite Variante, mehr Menschen auf der gleichen Fläche unterzubringen: Verdichtung. Das heißt, dass spätestens dann die Auffüllung derzeit locker bebauter Gebiete, der Ausbau von Dachgeschoßen und ähnliche Maßnahmen auch in den Fokus der Politik rücken dürften – wenn nicht langfristig der gesamte Großraum Wien (also auch die niederösterreichischen Vororte) als Planungseinheit gesehen würden. Bisher sei das nicht geschehen, kritisiert Chorherr in Richtung Niederösterreichs, das etwa den Bahnhof Tullnerfeld an der neuen Westtrasse „auf die grüne Wiese“ gestellt habe, anstatt dort gleich einen Stadtteil zu errichten.

Teurer Infrastrukturausbau

Eine andere Ressource, die das Wachstum von Städten weltweit einschränkt, ist in Wien zumindest kein Problem: das Wasser. Die MA31 (Wiener Wasser) stellt gerade eine Studie fertig, wie sich die steigende Bevölkerung auf die Versorgungssicherheit auswirken wird. Hinsichtlich der Menge sei aber Luft nach oben: Seit den 1970er-Jahren ist der jährliche Wasserverbrauch Wiens um ein Viertel gesunken – vor allem dank sparsamerer Haushaltsgeräte. Mittelfristig erwartet man aber wieder steigenden Bedarf durch die zunehmende Bevölkerung. Wo Wiener Wasser aber Handlungsbedarf sieht, ist im Bereich des Netzes: Steigt die Zahl der Haushalte in der Stadt, sind mehr Rohrleitungen notwendig. Und das kostet natürlich mehr.

Das ist etwas, das alle Infrastrukturbetreiber gemeinsam haben: Auch die Wiener Linien verweisen auf notwendige Mehrinvestitionen, wenn gewünscht sei, dass bei steigender Bevölkerung ein ähnlicher Leistungsgrad herrsche wie bisher. Dazu zählte der gerade umgesetzte U-Bahn-Ausbau (etwa die U2-Verlängerung in die Seestadt) ebenso wie der Einsatz neuen Wagenmaterials oder – „ein Zukunftsthema“, sagt ein Sprecher – Verhandlungen mit den ÖBB über eine Verstärkung von S-Bahn-Linien, etwa in Liesing.

In puncto Infrastruktur ist die Adaptierung an wachsende Bevölkerung also vor allem eine Geldfrage. „Allerdings hat Wien ja auch etwas davon“, sagt Chorherr: Jeder zusätzliche Einwohner bringe der Stadt mehrere tausend Euro aus dem Finanzausgleich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2014)

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