El  Bulli: Ferran Adrià in sieben Gängen

(c) Francesc Guillamet
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Dokumentierter Einfluss eines Pioniers, ohne den die heutige Küche nicht so wäre, wie sie ist: ein Kompendium mit allen Rezepten aus dem Restaurant El Bulli.

Trompe-l’œil. Dieser Teig-Pfirsichkern ist Teil des Gerichts Peach Melba.
Trompe-l’œil. Dieser Teig-Pfirsichkern ist Teil des Gerichts Peach Melba.(c) Francesc Guillamet
Vordenker. Ferran Adrià schloss sein Lokal 2011, 2015 wird es Thinktank-Basis.
Vordenker. Ferran Adrià schloss sein Lokal 2011, 2015 wird es Thinktank-Basis. (c) Francesc Guillamet

Je mehr Kritiker, desto größer das Verdienst? Zumindest bei Ferran Adrià könnte das stimmen. Den katalanischen Koch muss man nicht mehr erklären. Kritiker seiner Küche beschreiben Adrià knapp als überschätzten Schäumchenschläger (dass Skeptiker in Gesprächen oft seinen Namen falsch verwenden, den Mann nämlich Adrian Ferra nennen, mag Absicht sein oder nicht). Für seine Anhänger ist er ein Koch, ohne den sehr  viele Gerichte in allen möglichen Küchen heute nicht so wären, wie sie sind. Dass nicht nur Noma-Chef René Redzepi in der Küche seines El Bulli arbeitete, sondern auch Grant Achatz vom Alinea in Chicago oder Joan Roca vom derzeit weltbesten Restaurant, passt gut in das Bild des einflussreichen Ferran Adrià (wobei die Inspiration sicher auch wechselseitig war).

Es ist nicht, was es ist. Adrià hat nicht nur Techniken und zum Teil heftig angefeindete chemische Hilfsmittel entwickelt, die heute noch in vielen Küchen angewandt werden und Dinge ermöglichen wie etwa diverse Kügelchen, die innen flüssig sind. Es ist auch auf ihn zurückzuführen, dass man in Spitzenrestaurants in den letzten Jahren auf so viele Trompe-l’œil-Gerichte traf und noch immer trifft. Etwa mit Pilzen aus Entenleber nebst Moos aus chlorophyllgefärbten Bröseln und zusammengeschabter karamellisierter Milchhaut als Borke. Schließlich hat Adrià besonders gern das Auge getäuscht, hat Muschelschalen serviert, die keine sind, Risotto aus Sojasprossenstückchen, Kaviar aus Brombeersegmenten, süße Mimesis-Erdnüsse oder -pfirsichkerne (siehe Bild). Im Kontext der europäischen Kochgeschichte ist Ferran Adrià zwar damit nicht der Erste – wir kennen etwa recht echt aussehende Walnüsse aus Teig, anderswo gibt es Ähnliches –, aber Ferran Adrià hat in technischer Hinsicht neue Möglichkeiten für das Trompe-l’œil-Kochen aufgezeigt. Ebenfalls ihm und seinen Dekonstruktionen zu verdanken (man kann ihn freilich dafür auch verwünschen) sind Gerichte, die mit dem Namen von im kulinarischen Gedächtnis verankerten Gerichten spielen und diese zerlegen: Bei deutschen Spitzenköchen mittlerweile geächtet – da abgenutzt – sind vor allem die zahlreichen Versionen der weltweit bekannten Schwarzwälder Kirschtorte. Sie kam wohl schon in sämtlichen denkbaren Aggregatzuständen auf den Tisch, Hauptsache, es waren irgendwie Kirschen, Schokolade und Oberscreme dabei. Allerdings: So gut wie jeder, der über solche Spielereien heute die Nase rümpft, hatte einmal eine dekonstruierte Schwarzwälder Kirschtorte im Programm. Adrià zeigte die Methode der Dekonstruktion vor, und überall legte man sie auf diverse Traditionsgerichte um. Und war damit im eigenen Land Avantgarde. Bis nach und nach auch Mittelklasseköche nachzogen, weil die Idee ohne Zweifel gut ist; weil sie die eigene Kreativität fordert und – heute besonders wichtig – das Spiel mit dem Regionalen ermöglicht.

Ferran Adrià hat auch neue Wege des Servierens vorgezeigt. Diese scheinen sich allerdings besonders rasch abgenützt zu haben: Saucen in Pipetten, Cracker und diverses Frittiertes mit Wäscheklammern oder Pinzetten, Saucen, die man sich aus einer Tube selbst auf den Teller drückt.

Dokumentation.
Sein Anfang März auf den Markt kommendes Opus magnum versammelt lückenlos alle Gerichte von 2005 bis 2011, bei deren Konzeption auch Bruder Albert Adrià und Juli Soler maßgeblich beteiligt waren. 2011 schloss Ferran Adrià sein Lokal, 2015 soll es als Thinktank-Basis wiedereröffnet werden. In sechs Bänden werden sämtliche Rezepte mit Bild dokumentiert, besonders spannend ist aber der siebente Band namens „Evolutionary Analysis“: Hier listet Adrià die irrwitzigen Zutaten seiner Küche – Seezungenhaut und Hühnersehnen genauso wie Yuzu, Gänseblümchenknospen oder Kürbiskernöl –, analysiert die Entwicklung der Gerichte, zeigt Fotos von Arbeitsschritten in der El-Bulli-Küche. 

Ferran Adriàs Werk ist in dieser geballt dokumentierten Form schier verstörend: Denn allzu vieles erkennt man in den späteren Kreationen anderer Köche wieder. Und vermutlich ohne es zu beabsichtigen, stellt Adrià damit eine der großen Fragen der Gastronomie, deren Vertreter sich immer seltener als Künstler denn als Handwerker bezeichnen: Wie viel zählt die Idee, und was gilt ein perfekt gemachtes Gericht, wenn es kopiert ist?

Tipp

El  Bulli 2005–2011. Alle Rezepte aus diesen Jahren plus Erläuterungen, Einblicke in Arbeitsschritte, Produkte. Sieben Bände im Acrylschuber. Phaidon, 2720 Seiten, 525 Euro.

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