"Der Überblick über die Studien ist schwierig"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Psychologe Georg Gittler über Probleme bei der Studienwahl und Fächer, die auch dann belegt werden, wenn das Interesse nicht so stark ist.

Die Presse: Haben angehende Studenten immer mehr Probleme bei der Studienwahl?

Georg Gittler: Ich denke schon. Das hängt auch damit zusammen, dass der Überblick über die Studien so schwierig geworden ist. All diese vielen, unterschiedlich benannten Studienrichtungen, die jedoch zum Teil ähnliche Inhalte haben. Jugendliche können sich darunter oft nicht viel vorstellen: Was ist z.B. Telematik oder Mechatronik, was Sozialanthropologie? Darüber wird auch in den Schulen wenig gesprochen. Im Internet gibt es zwar eine Unzahl von Beratungsmöglichkeiten, dennoch ist es schwierig, sich umfassend und doch zielgerichtet zu informieren.

Wann entscheiden Jugendliche, was sie studieren wollen? Jahre oder Wochen vor Uni-Start?

Prof. Georg Gittler
Prof. Georg Gittler(c) Georg Gittler/ Uni Wien

Allgemein sagt man, dass Interessen, die spätere Berufsinteressen werden können, sich etwa mit 14 oder 15 Jahren zu entwickeln beginnen. Ich denke, dass zur Orientierung für die Wahl eines Studiums ab etwa 16, 17 Jahren ein unterstützender Prozess in den Schulen beginnen sollte. So wie es in dem Projekt „Studienchecker“, welches durch das Unterrichts- und Wissenschaftsministeriums initiiert wurde, bereits gemacht wird. Ideal wäre es, in den Schulen ab der zehnten Schulstufe das Thema Studienwahl immer wieder anzusprechen. Aktuell muss auch bedacht werden, dass es nach der Matura oft schnell gehen muss, da manche Anmeldefristen knapp bemessen sind.


Zur Person

Georg Gittler ist Psychologieprofessor an der Uni Wien. Er entwickelte den Studienwahltest "Studien-Navi", der auf der Beobachtung von Interessen (und nicht auf Expertenurteilen) basiert. Dafür sammelte er über acht Jahre hinweg Interessenausprägungen von 17.000 Studenten diverser Studienrichtungen.Gibt es denn für jeden Maturanten auch das richtige Studium?

So eindeutig wohl nicht. Es studiert ja auch nur ein gewisser Prozentsatz der Maturanten. Bei hoher Befähigung können sicherlich verschiedene Studien erfolgreich studiert werden. Besonders wohl fühlt man sich jedoch im Kreise von Kommilitonen, die ähnliche Interessen haben, eine ähnliche Art zu denken, gleichartige Herangehensweise an Probleme etc.


Wie groß ist denn der Einfluss der Lehrer auf die Studienwahl?

Lehrer haben vielfach die Vorstellung, dass Kinder ein Interesse besitzen oder eben nicht besitzen. Dabei wird übersehen, dass sich Interessen erst nach und nach entwickeln. Und in jeder Phase dieses Entwicklungsprozesses ist das unterstützende Zutun der Lehrer, aber auch der Familien und der Peers entscheidend. Lehrer unterschätzen, welches Potenzial sie eigentlich besäßen, Schülern zu helfen, die individuellen Interessen zu finden und zu entwickeln; das muss nicht nur im eigenen Fach sein, man kann auch Kollegen aufmerksam machen.

Und wie sehr lassen sich Kinder von ihren Eltern leiten?

Ich habe in der Entwicklung meines online Studienberatungsverfahrens „Studien-Navi“ mit vielen Jugendlichen gesprochen, auch über den Druck der Eltern. Bei den rund dreihundert Beratungsgesprächen, die ich durchführte, sagten viele prototypisch: "Ich bin dankbar für das Ergebnis, endlich kann ich meinen Eltern klarmachen, was ich will". Nach meiner Einschätzung werden etwa zehn Prozent der Jugendlichen von den Eltern unter Druck gesetzt. Die Eltern meinen es natürlich gut und glauben, dass ihr Kind das kann, was sie sich wünschen. Aber auch die Eltern überblicken nur ein paar Studienrichtungen und hoffen, dass ihr Kind ein Fach wählt, das angesehen ist.

Sie sehen im Interessenstest, wofür Maturanten sich interessieren. Spießt sich das teils mit den Studiendaten?

Ja. Rechtswissenschaften und Geisteswissenschaften werden beispielsweise von mehr Jugendlichen beiderlei Geschlechts studiert als sich eigentlich – laut „Studien-Navi“ – dafür interessieren. Umgekehrt besitzen mehr Maturanten Interesse für Technik, insbesondere bei den Burschen, als es derzeit Technikstudierende gibt. Daraus kann ein gewisser Handlungsbedarf abgeleitet werden, Jugendliche zukünftig stärker für eine interessensbezogene Studienwahl zu motivieren.

Würden Sie sagen, dass sich Mädchen bei der Studienwahl leichter tun als Burschen?

Im Allgemeinen ja. Vielfach sind Mädchen in ihrer Entwicklung weiter fortgeschritten und wissen zum Zeitpunkt der Matura genauer, was sie wollen. Hinzu kommt, dass Burschen bei gleicher Kompetenz oft schlechtere Noten bekommen. Sie werden dadurch in ihren Erfolgserwartungen verunsichert. Und schließlich gibt es bei der Studienwahl einen geschlechtertypischen Druck seitens der Gesellschaft, der bei Burschen größer ist. Beispielsweise ist für Mädchen, nicht aber für Burschen, ein sozialwissenschaftliches Studium genauso akzeptiert wie ein technisches.

Wie beurteilen Sie den Einfluss von Freunden und Klassenkameraden?

Die Peer Group hat besonders dann einen großen Einfluss, wenn Jugendliche mehrere gut ausgeprägte Interessen haben oder selbst noch sehr unschlüssig sind. In diesen Fällen orientiert man sich oftmals daran, was die anderen in der Klasse oder im Freundeskreis machen. Die Peer Group ist jedenfalls ein nicht zu unterschätzender Einflussfaktor.

Ist die falsche Studienwahl der Hauptgrund für einen Studienabbruch?

Ich denke, dass eine falsche Wahl und die damit einhergehenden falschen Erwartungen durchaus wesentlich sind, natürlich neben anderen Gründen, die etwa in den Lebensumständen liegen. Relativ unproblematisch erscheint es mir, wenn eine Neuorientierung bzw. ein Studienwechsel im ersten Studienjahr erfolgt, kritisch wird es in höheren Semestern.

Würden sie Studienanfängern empfehlen, sich im ersten Jahr so viele Studien wie möglich anzusehen?

Besser wäre es, man würde sich schon vorher orientieren und eine überlegte Studienwahl treffen. Dazu gehört auch, dass die verschiedenen Berufsmöglichkeiten, die ein Studium bietet, vorab ausgelotet werden.

Warum basiert Ihr „Studien-Navi“ Test auf Interessen? Was ist mit den Kompetenzen?

Einerseits können sich Jugendliche bezüglich ihrer Kompetenzen ganz gut einschätzen. Zum anderen werden Kompetenzen ja auch von Interessen abgeleitet, da besteht eine Wechselwirkung. Ein hoch ausgeprägtes Interesse, das völlig abgekoppelt ist von Kompetenz, gibt es eigentlich nicht. Wenn ich beispielsweise Interesse am Basteln habe, werde ich es tun und mich später für Modellbau bzw. technische Fächer interessieren. Umgekehrt führt ein gut ausgeprägtes Interesse zu höherer Kompetenz, weil sich dadurch die Lernstrategie und Lernmotivation ändern.

Wird die Studienwahl mehr als Last denn als Privileg gesehen?

Als belastend kann sie empfunden werden, wenn man die eigene Richtung nicht kennt oder von verschiedenen Seiten gedrängt wird. Möglicherweise müsste man die Idee des Privilegs stärker an die Jugendlichen herantragen und ihnen sagen, dass es schön und wertvoll ist, wählen zu können. An der Uni Wien haben wir viele Studierende aus dem Ausland, bei denen ich stärker das Gefühl habe, dass sie ihr Studium als Privileg empfinden.

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