Ein sozial-liberaler Christdemokrat

Former Luxembourg PM Juncker delivers a speech in Dublin
Former Luxembourg PM Juncker delivers a speech in Dublin(c) REUTERS
  • Drucken

Jean-Claude Juncker ist kein Rechter und kein Linker. Er ist ein Europäer und ein Anti-Nationalist, für den die EU mehr ist als eine Wirtschaftsgemeinschaft.

Wien. „Jeder weiß, welche Reformen wir brauchen, aber niemand weiß, wie wir sie einführen und danach eine Wahl gewinnen können.“ Jean-Claude Juncker brachte auf diese Weise schon einmal das Dilemma der europäischen Politik auf den Punkt. Nun stellt er sich erneut einer Wahl – als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei –, und niemand zweifelt daran, dass er weiß, welche Reformen die EU eigentlich bitter nötig hätte.

Der langjährige Luxemburger Ministerpräsident kennt die Europäische Union wie kein anderer. Er weiß, wie verworren die Gedankengänge der Staats- und Regierungschefs sind, wenn sie in Brüssel Entscheidungen fällen müssen und dabei immer auch auf die politische Stimmung daheim schielen. Juncker selbst – das machte ihn in dieser Runde einzigartig – sah meist das Ganze, nicht die Interessen der Nation. Lediglich bei der Zinsbesteuerung und Anonymität von Bankkunden war er darauf bedacht, das lukrative Finanzgeschäft seiner Heimat nicht zu stören.

Der 59-Jährige kennt vor allem den Kompromiss und die schweren Wege dorthin. Das hat er bereits als „Held von Dublin“ bewiesen, als es ihm 1996 gelang, einen komplexen Streit zwischen Deutschland, Frankreich und weiteren Mitgliedstaaten zu schlichten. Er rettete den Stabilitätspakt und damit die Gründung der Währungsunion. Aber auch als Vorsitzender der Euro-Gruppe bewies er in der Finanz- und Schuldenkrise diese Fähigkeit zum Mediator.

Die EVP hat ihn erneut zum „Helden von Dublin“ gemacht. Er soll jetzt der Europäischen Volkspartei die Mehrheit im Europaparlament sichern und dann zum Kommissionspräsidenten bestellt werden. Ganz abwegig ist das nicht. Jean-Claude Juncker hat es sich zwar mit einigen Regierungschefs – allen voran David Cameron – verscherzt. Politisch wäre er für viele aber wählbar, weil er sich immer in der politischen Mitte platziert hat.

Er ist ein sozial-liberaler Christdemokrat, der pragmatisch hinter Wirtschaftsinteressen steht, der sich aber auch gern für Arbeitnehmerinteressen starkmacht. So trat er für Mindestlöhne ein und sprach sich dafür aus, Gewinne von Unternehmen nicht in Börsenspekulationen, sondern in höhere Einkommen der Mitarbeiter umzuleiten. Er sorgte als Luxemburger Regierungschef stets dafür, dass sein Land Unternehmen mit niedrigen Steuern anlockte, andererseits trat er als einer weniger Christdemokraten in Europa für die Einführung von Eurobonds zur Schaffung von Arbeitsplätzen ein.

Juncker hat noch eine Fähigkeit, die ihn zum geeigneten Kandidaten der EVP macht: Er spricht vier EU-Sprachen fließend.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Europa

Entscheidung in Dublin: Juncker Favorit, Barnier mit Restchance

Die Delegierten bestimmen ihren Spitzenkandidaten.
Dombrovskis, stolzer Besitzer eines Zehn-Euro-Scheins nach der Einführung der Gemeinschaftswährung zu Jahresbeginn
Europa

EVP-Spitzenkandidat: Dombrovskis gibt auf

Beim Kongress der Europäischen Volkspartei im irischen Dublin kommt es nun zum Duell zwischen Jean-Claude Juncker (Luxemburg) und Michel Barnier (Frankreich).

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.