Endlich stehen wir vor einer echten politischen Wahl

Europawahlen
Europawahlen(c) APA/EPA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Die Europawahlen haben einen unschätzbaren Vorteil gegenüber unseren Lokalwahlen: Es geht um echte politische Lager, nicht um die Sandkiste.

Für viele ist es längst eine vertraute Übung: Vor Nationalratswahlen und vergleichbaren regionalen Urnengängen geht es um strategische Überlegungen. Motive für das Kreuz an einer bestimmten Stelle: das geringste Übel, Protest und das Verhindern bestimmter Parteien und Konstellationen, genannt Koalitionen. Diese Denkaufgaben waren meist völlig irrelevant, da am Ende ohnehin immer die Große Koalition herauskam. Was übrigens der Opposition immer half: Man konnte zornig FPÖ wählen, ohne Gefahr zu laufen, dass Andreas Mölzer als Minister die Schulen verantwortet, in die die eigenen Kinder und Enkelkinder gehen. Und zuletzt konnten rationale Wutwähler mit den Neos eine Gruppe wählen, die allen das suggeriert, was sie gerade gern hören und sehen.

Abgesehen davon, dass auch in Österreich diese Ära bei der nächsten Wahl zu Ende gehen dürfte, da SPÖ und ÖVP nicht mehr über eine Mandatsmehrheit verfügen dürften, ist die EU-Wahl ganz anders. Man wählt nicht eine lokale Partei mit lokalen vermeintlichen Größen, sondern eine Fraktion und ein politisches Lager. Das Ausscheiden Hans-Peter Martins und seiner EU-kritischen Spesenkontrollgruppierung verstärkt diese Politisierung noch. Angesichts einer zu erwartenden Niederlage versucht Martin, dessen Kontrollarbeit mitunter richtig und wichtig war, dessen Selbstgefälligkeit und Geschäftspraxis aber leider für niedere Motive als für Transparenz und Aufklärung standen, das, was am Schluss alle machen: das Erbe zu retten. Also gab er im „Falter“ ein Interview, bei dem er sich plötzlich als aufrechter Kämpfer gegen die bösen Rechtspopulisten geriert. Das ist putzig, doch die Rolle spielen andere besser, und die Fußnoten politischer Jahrbücher werden Martin weiterhin als skurrilen Möchtegern-Kohlhaas gegen EU-Rechnungen abspeichern. Mehr nicht. Aber dies wird vermutlich nicht einmal Ulrike Haider schaffen, deren einzige Atouts Familienname und das Martin-Aus sein dürften. Selbst wenn sie den Einzug schafft: Ein Sitz im Europaparlament macht aus einer Eintagsfliege keine politische Kraft.

Auch wenn nach der EU-Wahl Angela Merkel und François Hollande telefonisch abstimmen, wer die Europäische Union in Zukunft wirklich führt: Es stehen fünf ernst zu nehmende Parteien zur Wahl, hinter denen Fraktionen und Lager stehen. Wer die SPÖ trotz Fehlens jedweden politischen Profils ihres Spitzenkandidaten wählt, wählt Martin Schulz, indirekt eher auch die deutsche SPD, Italiens Matteo Renzi und die französischen Sozialisten François Hollandes, also sagen wir die Wiener SPÖ Michael Häupls. Das heißt auch, dass man für (oder gegen) den Plan stimmt, die Europäische Union von einer stark auf das wirtschaftliche Zusammenspiel fokussierten Gemeinschaft in Richtung einer Sozialunion zu trimmen, die den Wohlfahrtsstaat zum europäischen Konsens machen soll. Neben Othmar Karas sitzt nicht Michael Spindelegger, sondern Jean-Claude Juncker, die deutsche CDU, die CSU und die spanischen Konservativen, die ihr Land mit einem Sparkurs zu sanieren versuchen. Wer harte Budgetsanierung als zentrale Aufgabe sieht, wird eher dort aufgehoben sein. Für die Neos ist Europa eine Entscheidungshilfe: Angelika Mlinar, bisher Links- oder besser: Wohlfühlliberale, wird in der Fraktion der meist echten Liberalen mit ihrem Abstimmungsverhalten zeigen, wofür die sympathische Sammelsuriumpartei steht: für Wirtschaftsliberalismus oder nicht. Mlinars Ablehnung des europäisch-amerikanischen Handelsabkommens deutet in die zweite Richtung.


Und dann ist da noch die FPÖ, deren Berge in den Umfragen in den Himmel wachsen. Auch ihnen dürfte das Aus für Martin helfen. Die jüngsten Provokationen und dummen Entgleisungen Andreas Mölzers dürften dem Bemühen Heinz-Christian Straches, Nummer eins zu werden, nicht unbedingt helfen. (Vor allem hindern sie den FPÖ-Chef, endlich so etwas wie staatspolitische Verantwortung und Regierungsfähigkeit zu entwickeln.) Noch wichtiger: Wer für die FPÖ stimmt, bekommt den Block der überzeugten EU-Gegner. Wer sie wählt, müsste mit einem EU-Austritt leben können.

Selten war eine Wahl so politisch und daher interessant. Was man von den vergangenen Nationalratswahlen nicht sagen konnte.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2014)

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