Polemik rund um Ehrenbürgerschaft

FPÖ-Untergriff gegen Nobelpreisträgerin: Jelinek „braucht umfangreiche Therapiemöglichkeit“

Diffamierende Anspielung auf psychische Erkrankung? Aufgrund einer Angststörung meidet die österreichische Schriftstellerin die Öffentlichkeit - die Ehrenbürgerschaft der Stadt Wien aber nahm sie anders als den Nobelpreis persönlich entgegen.
Diffamierende Anspielung auf psychische Erkrankung? Aufgrund einer Angststörung meidet die österreichische Schriftstellerin die Öffentlichkeit - die Ehrenbürgerschaft der Stadt Wien aber nahm sie anders als den Nobelpreis persönlich entgegen.CHRISTIAN JOBST
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Der Wiener FP-Kultursprecher Stefan Berger führt eine Reihe von FPÖ-Polemiken fort, die Jelineks Positionen als Ausdruck einer kranken Psyche pathologisieren.

„Wer nur mehr Protofaschisten, Neofaschisten und Neonazis sieht, braucht keine Ehrenbürgerschaft, sondern eine umfangreiche Therapiemöglichkeit“, kommentierte am Mittwoch der Wiener FP-Kultursprecher Stefan Berger Äußerungen der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek vom Vortag. Jelinek hatte am Dienstag die Ehrenbürgerschaft der Stadt Wien entgegengenommen und dabei gesagt: „In einem Land, wo so viele Landeshäuptlinge ohne Not und ohne Zwang mit diesen Leuten zusammengehen, mit Protofaschisten, Neofaschisten, Neonazis sogar, muss man diese Stadt mit ihrer ganzen Multikulturalität und ihrer Integrationskraft des Fremden hochhalten.“ Die Ehrenbürgerschaft für sie sei auch ein Statement „gegen diese Normalitätsterroristen“.

Bergers Äußerung ist die jüngste einer Reihe von FPÖ-Polemiken, die darauf abzielen, Jelineks Aussagen als Ausdruck einer deformierten Psyche zu pathologisieren. So hatte etwa bereits Jörg Haider Jelinek als „zutiefst frustrierte Frau“ bezeichnet. Bergers Aussage über einen Therapiebedarf der Nobelpreisträgerin erhält allerdings noch eine zusätzliche diffamierende Note: Denn sie kann als Anspielung auf Jelineks von ihr selbst öffentlich thematisierte Angststörung verstanden werden. Diese ist auch der Grund, warum die Nobelpreisträgerin so selten in der Öffentlichkeit auftritt – selbst den Literaturnobelpreis 2005 nahm sie nicht persönlich entgegen. Umso bemerkenswerter, dass sie bei der Verleihung der Ehrenbürgerschaft in kleinem Kreis dann doch anwesend war (die FPÖ war übrigens 2021 im Gemeinderat die einzige Partei gewesen, die gegen diese Ehrung gestimmt hatte).

Die Angriffe der FPÖ auf die Autorin reichen Jahrzehnte zurück. So hatte die Partei vor der Wiener Gemeinderatswahl 1995 Plakate mit dem Text affichiert: „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk . . . oder Kunst und Kultur?“ Älter allerdings ist die Opposition zwischen ÖVP und Jelinek: Proteste aus dieser Partei gab es schon 1976 gegen ihren ORF-Film „Die Ramsau am Dachstein“, 1985 dann noch viel stärker anlässlich der Uraufführung ihres Theatertextes „Burgtheater“ in Bonn, in dem das österreichische Schauspielerehepaar Paula Wessely und Attila Hörbiger sowie dessen Bruder Paul Hörbiger als NS-Mittäter dargestellt werden. Jelinek wurde damals und seitdem immer wieder als „Nestbeschmutzerin“ kritisiert. (sim)

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