Nach Fähren-Unglück: Konsumfasten aus Anstand

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Das Schiffsunglück mit wahrscheinlich über 300 Toten hat reale ökonomische Auswirkungen auf Südkorea. Wie ein Verständnis von Anstand den Konsum umkrempelt.

Seoul. Die Bilder gehen durchs ganze Land. In der Sporthalle der Kleinstadt Jindo schlafen hunderte Angehörige auf dem kalten Boden, wo sonst Basketbälle aufprellen und Turnschuhe quietschen. Auf einer Tafel am Hallenausgang werden täglich neue Beschreibungen geborgener Körper gelistet. So können die Eltern und Verwandten sehen, ob auch um einen ihrer Nächsten nun die traurige Gewissheit des Todes herrscht. Doch bis das dahin harren die Familien hier aus. Noch immer werden von den 475 Passagieren, die bis zum Untergang am 16. April auf der Fähre Sewol im Süden Südkoreas waren, rund 100 vermisst. Über 200 sind bereits als verstorben bestätigt.

„Ich bin einfach traurig“, sagt Hwang Seonhee. Rund 20 Kilometer von der Halle entfernt steht ist sie an der Küste, wo täglich neue Körper an Land gezogen werden. Seit gut einer Woche teilt die Sozialarbeiterin Essen aus und hilft sonst noch, wo sie kann, damit es die Angehörigen der Vermissten und Toten so erträglich wie möglich haben. Hwang selbst hat dafür ihren Urlaub storniert. Die zweifache Mutter wollte lieber helfen als entspannen, aus Mitgefühl. „Es wäre mir falsch vorgekommen, jetzt mein Land zu verlassen und in der Sonne zu liegen.“

Jede zweite Reise wurde abgesagt

Viele Koreaner denken in diesen Tagen so. Durch das Unglück, eine der größten menschlichen Katastrophen in Friedenszeiten, hat die wirtschaftliche Aktivität einen Dämpfer erlitten. Der Anstand scheint es zu gebieten. Klassenfahrten, wie auch die gesunkene Sewol eine war, wurden zunächst durch das Bildungsministerium verboten, 7000 Tickets wurden dadurch ungültig. Aber auch private Reisen wurden zuhauf abgesagt. Die koreanische Tourismusvereinigung berichtet, dass die Hälfte aller Buchungen storniert wurde. Andere Unternehmen haben ihre Marketingaktivitäten eingestellt, offenbar, um nicht unsensibel zu wirken. Der Technologiekonzern Samsung hat eine im Land beliebte Vortragsreihe abgesagt, Konkurrent LG stornierte eine Galashow mit bekannten Persönlichkeiten. Auch die drei größten Mobilfunkunternehmen haben alle möglichen Events reduziert. Der Smartphone-Hersteller Pantech hat die Veröffentlichung seines neuesten Telefons auf ein unbestimmtes Datum verschoben. „Obwohl der Schiffsuntergang wahrscheinlich keine langfristigen Auswirkungen auf das Wachstum haben wird, kann es sein, dass er die kurzfristigen Zahlen beeinträchtigt wird“, sagt Nah Seung-ho, ein führender Ökonom der koreanischen Zentralbank.

Diese Vorhersage ist längst eingetreten. In Ansan, einem Vorort der Hauptstadt Seoul, aus dem ein Großteil der auf dem Schiff verstorbenen Schüler kommt, sind die Auswirkungen besonders zu spüren. „Ich verkaufe nur noch die Hälfte von vor drei Wochen“, sagt eine Unterwäscheverkäuferin, die namentlich nicht genannt werden will und ihren Laden nicht weit von dem vor einigen Tagen eingerichteten Trauergeleit in der Stadt unterhält. Größere Einzelhändler berichten, dass ihre Umsätze um ein Fünftel eingebrochen sind. Die Kreditkartenumsätze im ganzen Land fielen in den ersten fünf Tagen nach dem Untergang um acht Prozent.

Zurückhaltung nach Terroranschlag

Dass nach großen Katastrophen der Konsum in bestimmten Bereichen abebbt, ist aber keine koreanische Eigenart. Nach den Terroranschlägen auf das US-amerikanische World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2011, bei denen 2996 Menschen starben, nahm der Einzelhandel zunächst um 2,4 Prozent ab und erreichte seinen Tiefstand nach neun Jahren. Durch den Hurrikan Katrina, der New Orleans im August 2005 zerstörte und rund 2500 Menschen in den Tod riss, gingen 35.000 Arbeitsplätze verloren. Die wirtschaftliche Aktivität nahm entsprechend ab.

Nach Erdbeben, Tsunami und Reaktorunglück in Japan am 11. März 2011 begann eine Vertrauenskrise in Fisch- und Landwirtschaftsprodukte. Fischer klagen bis heute, dass ihre Umsatzeinbußen, die teilweise 50 Prozent und anderswo ein Viertel betragen, nicht rational zu erklären sind. Schließlich unterliegen japanische Lebensmittelprodukte heute strengeren Kontrollen als vor der Katastrophe. Aber die inländische Nachfrage hat abgenommen. Auch Südkorea hat Einfuhren von Fisch aus mehreren japanischen Präfekturen verboten, aus Angst vor Radioaktivität.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2014)

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