Deutschland

Oskar Lafontaine: Ein streitbares linkes Urgestein wird 80

Oskar Lafontaine anno 2019 in seinem Fraktionsbüro der Linken im Saarländischen Landtag. Im Hintergrund eine Zeichnung von seinem verstorbenen Freund Alfred Hrdlicka, dem österreichischen Maler und Bildhauer.
Oskar Lafontaine anno 2019 in seinem Fraktionsbüro der Linken im Saarländischen Landtag. Im Hintergrund eine Zeichnung von seinem verstorbenen Freund Alfred Hrdlicka, dem österreichischen Maler und Bildhauer.Picturedesk/Bert Bostelmann
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Der bekannte und nicht unumstrittene deutsche Linkspolitiker und Gatte der nicht minder streitbaren Sahra Wagenknecht (Die Linke) kann auf mehr als 50 Jahre aktive Politik zurückblicken. Dabei agierte er nicht immer glücklich, wurde bisweilen der Anbiederung an den Ostblock bezichtigt und verließ 1999 die SPD als deren Chef im Streit.

Ein politisches Amt hat er nicht mehr, aber Oskar Lafontaine ist noch ganz nah an der Politik dran. „Ich bleibe immer politisch. Geht gar nicht anders“, sagt der Politiker, der zweifellos zu den bekanntesten linken — und umstrittensten — Köpfen Deutschlands zählt. Den Übergang nach mehr als 50 Jahren aktiver Politik ins Private, den er erst im März 2022 mit dem Ende als Fraktionschef der Linkspartei im saarländischen Landtag besiegelt hatte, den habe er gut geschafft.

„Das ging völlig ohne Probleme“, sagt er an seinem Wohnort im saarländischen Städtchen Merzig hart an der Grenze zu Frankreich, von dort gerade zurückgekehrt von einem Urlaub in der Bretagne. Vieles treibt Lafontaine weiterhin politisch um. Vor allem sieht er aktuell keine Partei, die sich angemessen um die Interessen „der kleinen Leute“, wie er sagt, also der Pensionisten, Arbeiter und Arbeitnehmer mit geringem Einkommen, kümmere. Dies tue weder die SPD, aus der er 2005 ausgetreten war, noch die Linkspartei, die er mitgegründet hatte und im Vorjahr spektakulär verließ. Notwendig sei eine „starke Partei, die die Interessen der Mehrheit des Volkes vertritt“, sagt der nunmehr parteilose Saarländer, der morgen Samstag 80 Jahre alt wird.

„Es gibt eine echte Lücke im deutschen Parteiensystem“, meint er. Er habe versucht, durch die Gründung der Linkspartei 2007 „die Politik der SPD zu verändern und längerfristig beide Parteien wieder zusammenzuführen im Sinne der Brandt‘schen Sozialdemokratie. Dieser Versuch ist leider gescheitert.“ Willy Brandt, der berühmte SPD-Kanzler (1969-74), sei „sein politischer Ziehvater“ gewesen. „Er war der wichtigste Politiker für mich in den vergangenen Jahrzehnten“, sagt Lafontaine.

Er sieht keine Partei mehr für die Masse der „kleinen Leute“

Zu Spekulationen über die Gründung einer neuen Partei durch seine Ehefrau Sahra Wagenknecht (54), Bundestagsabgeordnete der Linken und mit dieser mittlerweile selbst durchaus selbst im Konflikt, äußert er sich nicht. „Selbstverständlich unterstütze ich eine Partei, die für soziale Gerechtigkeit und Frieden eintritt. Im Moment gibt es diese Partei leider nicht.“ Er suche aber „keine neue Rolle in der Politik“, betont der studierte Physiker.

Oscar Lafontaine, Sahra Wagenknecht und Feministen-Ikone Alice Schwarzer auf der umstrittenen Friedensdemo und Kundgebung für Verhandlungen mit Russland statt Waffenlieferungen für die Ukraine am Brandenburger Tor in Berlin, Februar 2022.
Oscar Lafontaine, Sahra Wagenknecht und Feministen-Ikone Alice Schwarzer auf der umstrittenen Friedensdemo und Kundgebung für Verhandlungen mit Russland statt Waffenlieferungen für die Ukraine am Brandenburger Tor in Berlin, Februar 2022. Imago / Jean Mw

Der Blick auf Menschen mit geringen Einkommen und der Einsatz für Frieden: Das sind die zentralen Anliegen von Lafontaine. „Den kleinen Leuten zu helfen, das ist eine Prägung aus der Kindheit heraus. Ich glaube, das kann man nicht lernen“, sagt der Mann aus dem kleinen, einst durch Bergbau geprägten Bundesland. Er sei in einer Straße in Dillingen aufgewachsen, wo die Hüttenarbeiter gewohnt hätten. „Meine Mutter war Kriegerwitwe.“ Der Vater war im April 1945 kurz vor Kriegsende gefallen. Er erinnere sich noch gut daran, wie bei seiner Mutter ältere Frauen am Tisch gesessen und geweint hätten, weil die Rente nicht gereicht habe. Und dass die Mutter ihm und seinem Zwillingsbruder Hans beim Abendessen die Wurstscheiben rationiert habe.

„Oskar“ war fast alles

Wenig Geld und der Schmerz über Kriegstote — das seien „Alltagserfahrungen meiner Kindheit“ gewesen. „Deswegen wehre ich mich vielleicht mehr als andere gegen Krieg“, sagt er auch mit Blick auf den Krieg in der Ukraine.

Landtagswahlkampf mit Oskar Lafontaine 2012, hier vor dem Besichtigung des Erlebnisbergwerks Velsen.
Landtagswahlkampf mit Oskar Lafontaine 2012, hier vor dem Besichtigung des Erlebnisbergwerks Velsen.Imago / Imago Stock&people

„Oskar“, wie er im Saarland schlicht heißt, war fast alles, was man in einem politischen Leben in Deutschland werden kann: Oberbürgermeister von Saarbrücken, SPD-Landesvorsitzender, Ministerpräsident des Saarlandes (1985-98), SPD-Kanzlerkandidat (1990), SPD-Bundesvorsitzender, Finanzminister, Mitgründer der Linkspartei und deren Partei- und Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Zuletzt hatte er die Linksfraktion im Saar-Landtag geführt.

Was würde er heute anders machen? Da fallen ihm als erstes die Namen Willy Brandt und Helmut Schmidt ein: „Ich würde heute das eine oder andere im Verhältnis zu diesen beiden Personen ändern.“ Zu den Differenzen mit Brandt in der Deutschlandpolitik, vor allem über die Währungsunion, sagt er: „Im Nachhinein habe ich mir immer gesagt, ich hätte öfters mit ihm reden müssen.“ Und beim Streit mit Kanzler Helmut Schmidt (1974-82) um nukleare Nato-Nachrüstung und Atomenergie, da würde er heute „anders vorgehen: Auch mehr das Gespräch mit ihm suchen“.

Willy Brandt (li.) und Lafontaine beim SPD-Bundesparteitag in Berlin, 1990.
Willy Brandt (li.) und Lafontaine beim SPD-Bundesparteitag in Berlin, 1990.Imago / Imago Stock&people Via Www.imago-images.de

Eine Zäsur in seinem Leben sei das Attentat im April 1990 gewesen: Bei einem Messerangriff bei einer Wahlkampfveranstaltung in Köln wurde er lebensgefährlich verletzt. „Das hat die Einstellung zum Leben verändert“, sagt er heute. „Als junger Mensch lebt man oft in den Tag hinein und denkt nicht an das Ende. Aber durch ein solches Ereignis ist man ja angehalten, an das Ende zu denken.“

Wenn er zurückblicke, dann überwiege bei ihm „ein Gefühl der Dankbarkeit“, sagt er. „Ich hatte die Chance, in meinem Leben etwas zu bewirken, sodass ich sagen kann, ich habe die Lebensbedingungen vieler Menschen verbessert.“ Wichtig gewesen sei „sicherlich die Rettung der Stahlindustrie“ im Saarland in den 1990er-Jahren. „Das hat ja Tausende Familien betroffen.“ Dankbar sei er auch dafür, dass er anders als in seiner Kindheit keine materiellen Probleme habe. „Das ist ja ein unglaubliches Geschenk. Das empfinde ich als Gnade.“

Lafontaine 1983 mit einem E-Auto vor der Ludwigskirche in Saarbrücken.
Lafontaine 1983 mit einem E-Auto vor der Ludwigskirche in Saarbrücken. Imago / Imago Stock&people

Und: „Ich bin gesund und zufrieden.“ Er halte sich mit Fahrradtouren fit. Regelmäßig seien er — auf dem E-Bike — und seine Frau auf einer 110 Kilometer langen Tour an Saar und Mosel unterwegs. „Wir sind auch Pilzsammler“, erzählt er. Bald gehe es da wieder los. „Ich sammle seit Jahrzehnten. Steinpilze, Schirmpilze, Morcheln. Richtig mit Körbchen. Gibt es alles hier.“ Die Zubereitung der Pilze gehöre natürlich dazu.

Seinen Achtziger werde er mit Freunden feiern, sagt Lafontaine. Was er noch für Pläne hat? „Ich würde gern noch ganz viel rumreisen.“ Etwa mal wieder nach China, um zu sehen, wie sich das Land verändert habe. Oder nach Südamerika. „Da gibt es eine Reihe von Ländern, die ich noch nicht besucht habe.“ Er hält kurz inne: „Aber wenn man älter wird, dann reist man nicht mehr gerne zu weit weg.“ (APA, Greber)

Lafontaine heuer im März bei der TV-Show Maischberger.
Lafontaine heuer im März bei der TV-Show Maischberger.Imago / Uwe Koch/eibner-pressefoto

Zur Person

Oskar Lafontaine (*16. September 1943 in Saarlautern, heute Saarlouis) ist Sohn eines Bäckers und einer Sekretärin. Der Vater fiel im Frühjahr 1945 in Bayern und galt bis 1952 als vermisst. Nach dem Besuch eines katholischen Gymnasiums studierte er Physik in Bonn (und später Saarbrücken) und besuchte Vorlesungen über Philosophie und Staatsrecht. Nach dem Studium arbeitete er bis 1974 in den Saarbrückener Stadtwerken.

In die SPD trat Lafontaine 1966 ein. Er wurde Chef der Saarländer Jungsozialisten, war 1970-75 Landtagsabgeordneter, 1974-85 Bürgermeister bzw. Oberbürgermeister von Saarbrücken, 1977-96 saarländischer Landes-SPD-Chef, 1985-98 Ministerpräsident des Saarlandes.

Zum linken Flügel der SPD gehörend, rückte Lafontaine Ende der 70er/Anfang der 80er der deutschen Friedensbewegung nahe, die durchaus im Sinne des Ostblocks gegen weitere Aufrüstung der Nato agitierte. 1979 bekämpfte er den von der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt befürworteten Nato-Doppelbeschluss, der neue Atomwaffen als Antwort auf sowjetische Mittelstreckenwaffen in Europa brachte. Lafontaine trug zur Schwächung Schmidts und dessen Sturz 1982 durch ein konstruktives Misstrauensvotum bei, worauf Helmut Kohl (CDU) übernahm und an der Aufrüstung festhielt. Lafontaine zog sich die fortan lebenslange Abneigung Schmidts (1918-2015) wegen eines Interviews im „Stern“ 1982 zu, worin er sagte, mit den vom Kanzler gelobten Tugenden wie Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit könne man „auch ein KZ betreiben“. Lafontaine profilierte sich auch als Vertreter eines ökologischen Sozialismus und rückte den Grünen nahe.

Bezüglich der deutschen Wiedervereinigung war Lafontaine skeptisch. Er hielt die Idee eines Nationalstaats im Zeitalter der europäischen Integration für „unzeitgemäß“ und hoffte nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 auf Maßnahmen, um die DDR zu stabilisieren und ihre Bürger an der Ausreise zu hindern. Seine Haltung zur Deutschlandpolitik der damaligen CDU/CSU-FDP-Bundesregierung stieß auf Kritik auch von Parteifreunden: Er wolle die Mauern wieder aufbauen, hieß es etwa. Letztlich zerrüttete auch das sein Verhältnis zu weiteren SPD-Spitzenpolitikern wie Willy Brandt und Hans-Jochen Vogel sowie zu jüngeren ostdeutschen Sozialdemokraten.

1990 scheiterte er als trotz der internen Konflikte aufgestellter Kanzlerkandidat der SPD; im Wahlkampf wurde er von einer psychisch gestörten Frau mit einem Messer lebensgefährlich verletzt. 1995-99 war er Bundes-SPD-Chef. In der Oppositionsrolle agierte er glücklos und vielfach spaltend, was ihn schwächte. Nach dem Sieg der SPD bei der Bundestagswahl 1998 — allerdings mit Kanzlerkandidat Gerhard Schröder — wurde Lafontaine Finanzminister, zerstritt sich aber mit Schröder und trat 1999 von allen politischen Ämtern zurück. Er ist seither als Buchautor und scharfer Kommentator tätig und trat 2001 der umstrittenen linksextremen, globalisierungskritischen Gruppe Attac bei.

2005 verließ er die SPD und wechselte in das frisch gegründete Linksbündnis aus WASG (Arbeit & soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative) und der ostdeutschen KP-Nachfolgepartei PDS, für das er zusammen mit Gregor Gysi bei der Bundestagswahl im selben Jahr antrat und in den Bundestag gewählt wurde. 2007 wurde er Chef der Linkspartei PDS, schied aber 2010 krankheitsbedingt aus dem Bundestag aus. Bei drei Landtagswahlen im Saarland 2009, 2012, 2017 trat er als Linken-Chef an, blieb aber in der Opposition und trat 2022 nicht mehr an. Mittlerweile hatte er sich auch mit der Linkspartei zerstritten und verließ sie im März 2022 wenige Tage vor der Landtagswahl. Die schon zuvor schwache Linke (12,8% bei der Wahl 2017, laut Vorwahl-Umfragen nur mehr etwa fünf Prozent) flog mit 2,6% aus dem Landtag.

In erster Ehe war Lafontaine 1967-1982 mit Ingrid Bachert verheiratet. Der zweiten Ehe 1982-88 mit der Künstlerin Margret Müller entstammt ein Sohn (Frederic). 1988 führte Lafontaine eine Beziehung mit der Liedermacherin Bettina Wegner. Der dritten Ehe 1993-2013 mit der SPD-Politikerin Christa Müller entstammt ein weiterer Sohn (Carl-Maurice). 2011 machte Lafontaine seine Beziehung zur ostdeutschen PDS/WASG/Linke-Politikern Sahra Wagenknecht (*1969) öffentlich. Seine Ehe mit Christa wurde 2013 geschieden. Seit 2012 lebt er mit Wagenknecht im Städtchen Merzig im Saarland, die beiden heirateten 2014 und Lafontaine ist mittlerweile dreifacher Opa. Er hat übrigens einen älteren Zwillingsbruder, Hans. Dieser studierte Jus und wurde Rechtsanwalt.

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