Nachruf

Stephen Gould, der Wagner-Heros

Stephen Gould (1962-2023), in Wien im Jahr 2020.
Stephen Gould (1962-2023), in Wien im Jahr 2020. Michèle Pauty
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Der amerikanische Heldentenor erlag 61-jährig seiner Krebs-Erkrankung. Er war vom „Phantom der Oper“ für 20 Jahre zum führenden Mann im „schweren Fach“ geworden.

Sänger wie er sind rar. Bei ihrem Erscheinen erlangten sie in der jüngeren und jüngsten Opernvergangenheit stets eine Art Erlöser-Status in der Welt der Wagnerschen Götter und Heroen. Die sind schwer zu singen, das weiß man. Und die Partien für die Heldentenöre sind die schwersten. Jede Generation hat in der Regel einen Siegfried, einen Tristan, einen Tannhäuser. Von der New Yorker Metropolitan Opera bis nach Paris, München und Wien kommt man um diesen Mann dann nicht herum. Die Spielpläne müssen um seine Verfügbarkeit herum ausgerichtet werden – weltweit.

Stephen Gould hatte diesen singulären Status inne, seit er in den Jahren um die Jahrtausendwende in die Radarfalle der Opernagenturen geriet. Begonnen hatte der stämmige Mann aus dem US-amerikanischen Roanoke (Virgina) zwar in einem Opernhaus, aber das stand auf einer Musical-Bühne! Der junge Stephen Gould war „Das Phantom der Oper“, Tag für Tag, sonntags auch oft zweimal.

Dass er einmal vom Phantom zum realen Opernstar werden würde, hätte er sich nicht träumen lassen. Aber Kraft, die Ausdauer, die er bei Andrew Lloyd gestählt hatte, sind jene Tugenden, die es auch in Bayreuth braucht. Im „Siegfried“ heißt es, nach dreieinhalb Stunden Dauereinsatz, gegen eine ausgeruhte Sopranistin im Duett zu bestehen, im „Tristan“ einen Akt lang monologisieren, während sich Isolde auf die zehn Minuten ihres „Liebestods“ vorbereitet, mit dem sie dem erschöpften Kollegen dann regelmäßig die Show stiehlt.

Stimmgewaltiger Hüne

Nicht einem Stephen Gould freilich. Das haben Intendanten, Dirigenten und vor allem das Publikum rasch begriffen, denn Gould verfügte über die nötigen Reserven, vokale Marathonaufgaben zu stemmen und besaß zudem eine für solche Zwecke geradezu luxuriös wandlungsfähige, ansprechende Tenorstimme. Es klang noch innig und bewegend, wenn der schon von Hagens Speer zu Tode getroffene Siegfried sein visionäres „Brünnhilde, heilige Braut“ anstimmte.

Als das Potenzial dieses Künstlers entdeckt wurde, schickte man ihn ins Nachwuchsprogramm der Lyric Opera Chicago. Und als er zum „Gott, welch Dunkel hier“ in seiner ersten „Fidelio“-Aufführung ansetzte, war sein Schicksal bereits besiegelt: Die Kunde vom stimmgewaltigen Hünen mit den unversieglichen Energiereserven war schneller als Beethovens Final-Stretta. Als der Schlussvorhang gefallen war, hatte Stephen Gould Einladungen zum Vorsingen an einigen der bedeutendsten Opernhäusern in der Tasche. Ein Münchner Auftritt in der Mini-Partie des Melot in einer von Zubin Mehta dirigierten „Tristan“-Aufführung war sozusagen der kurze Vorschlag vor den ersten mächtigen Akkorden.

2004 ging es nach Bayreuth, von wo Gould dann beinah zwei Jahrzehnte lang nicht mehr wegzudenken war. Dem „Tannhäuser“ unter Christian Thielemann galt sein Einstand, die Hausherrin Katharina Wagner zeichnete für die Regie von Goulds erstem Bayreuther „Tristan“ (wiederum mit Thielemann am Pul) verantwortlich. Mehr als 100 Aufführungen hat Gould auf dem grünen Hügel gesungen. Im Vorjahr war er auch beim ersten Open-Air-Spektakel der Wagner-Festspiele dabei und sang - ja, auch Wagner, aber überdies sogar „Dein ist mein ganzes Herz“, ein Kompliment, das ihm das Bayreuther Publikum gern zurückgab, garantierte dieser Künstler doch über die Jahre hin dafür, dass in seiner Ära das sonst für Wagnerianer gewohnte akustische „Durchtauchen“ vorbei war: Man musste nicht befürchten, dass dem „hehrsten Helden“ zwischendurch die Luft ausgehen könnte.

Wagner und Strauss in Wien

Auch Wien hat von Goulds Präsenz profitiert. Er sang die heikelsten Partien von Richard Strauss, den Kaiser in der „Frau ohne Schatten“, den Bacchus in „Ariadne auf Naxos“. Und er war natürlich Tristan, Tannhäuser, er war Paul in Korngolds „Totet Stadt“. Und natürlich Premierenbesetzung im aktuellen „Ring des Nibelungen“: Seit 2008 hat Gould die beiden Siegfried-Partien Partien 19 bzw. 21 Mal im Haus am Ring gesungen, seit 2015 als „Kammersänger“.

Seine Auftritte bei den Bayreuther Festspielen dieses Sommers musste Stephen Gould absagen. Die Musikwelt dachte sich noch nicht viel dabei, als der Sänger nach zwei Jahrzehnten ungebremster Leistungsfähigkeit mitteilen ließ, er müsse ein wenig pausieren. Vor kurzen freilich kam die Hiobsbotschaft: Stephen Gould war an Krebs erkrankt. Am Dienstag ist der Sänger 61jährig gestorben.

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