Streitgespräch

Widerstand gegen Winterschanigärten: „Ist das nicht etwas Mimimi?“

Markus Ornig (li.) und Markus Reiter in der Zollergasse. Ersterer findet das Treiben dort „herrlich“, zweiter sieht Probleme - etwa fehlenden Platz.
Markus Ornig (li.) und Markus Reiter in der Zollergasse. Ersterer findet das Treiben dort „herrlich“, zweiter sieht Probleme - etwa fehlenden Platz. Clemens Fabry
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In Wien dürfen Schanigärten nun das ganze Jahr offen haben. Das sorgt für Ärger in den Bezirken: Der Grüne Bezirkschef Markus Reiter streitet mit dem pinken Wirtschaftssprecher Markus Ornig: Droht in Wien ein Wildwuchs an Schanigärten? Wird Gastronomie den Handel verdrängen?

Nach dem Provisorium der Corona-Winter hat Wien jüngst eine Lösung für Ganzjahresschanigärten beschlossen. Die Bezirke Innere Stadt, Josefstadt und Neubau laufen dagegen Sturm.

Die Presse: Wir sitzen in der Zollergasse, ums Eck liegt die Mariahilfer Straße, es ist schon etwas kalt, trotzdem trinken die Leute draußen Kaffee, flanieren, es ist voll, belebt. Viele freut es, dass man in Wien ganzjährig in Gastgärten sitzen kann, Wien etwas mehr Paris wird, mehr Barcelona, mehr Metropole, in der so etwas nicht gleich wieder verboten wird. Was kann man denn dagegen haben?

Markus Reiter: (lacht) Um Winterschanigarten Ja oder Nein geht es ja nicht. Es geht darum, wie wir die nötige Transformation des öffentlichen Raums schaffen. Meine Kritik: Das ist eine eindimensionale Maßnahme, die nicht berücksichtigt, was wir täglich ausverhandeln: die Zukunft des Handels. Wie schaffen wir Platz fürs Zufußgehen? Wie nehmen wir die Bevölkerung mit? Das sind nur drei Aspekte. Wir haben einen Entwicklungspfad des öffentlichen Raumes bis 2040 beschlossen. Da war eine ganzjährige Überlassung des öffentlichen Raums für kommerzielle Nutzung nicht vorgesehen.

Markus Ornig: Ich verstehe Ihre Kritik an den Ganzjahresschanigärten nicht. Die Möglichkeit, so einen zu betreiben, gibt es seit drei Jahren. Wir sehen, dass es funktioniert, haben aus dieser Coronamaßnahme gelernt. Das Einzige, was sich ändert, ist, dass es mit dem neuen Gesetz bessere Kontrollmöglichkeiten gibt. Jetzt kann die Behörde, wenn jemand einen Schanigarten hat, den aber nur als Lagerfläche nutzt, sagen: Ich entziehe die Genehmigung. That‘s it.

Die Bezirke fürchten Wildwuchs, Ringen um öffentlichen Raum. Was spricht dagegen, das über Zonierungen zu regeln, wie es sie für Teile der Inneren Stadt gibt?

Ornig: Dagegen spricht nichts. Die Zonierung ist eine offene Frage, ein Prozess, den man zeitnah starten sollte. Einige Bezirke haben Bedarf angemeldet. Aber ein neuer Schanigarten ist kein Alleingang der Stadt. Der Bezirksvorsteher wird um Stellungnahme gebeten, der Bezirk hat ein gewichtiges Wort mitzureden.

Reiter: Man hat auf Dauer eine Umkehrung des Flächenanspruchs beschlossen. Zu Corona: Aufgrund der Akutsituation wurde vieles ohne Partizipation beschlossen. Das haben wir zur Kenntnis genommen. Aber dass jetzt niemand mit den Bezirken gesprochen hat, überrascht mich. Im 7. Bezirk heißt das: Vor Corona hatte die Gastronomie diese Flächen von Mai bis September, jetzt geht es um 12 Monate. Das verändert die Nutzung des öffentlichen Raums, man nimmt viele Gestaltungsmöglichkeiten. Die Verhandlungen werden konflikthafter werden, weil ihr einer Branche den Raum überlasst.

Ornig: Wenn sich Gastronomen an Regeln halten, und das tun sie großteils.

Reiter: Das mussten sie bisher auch. Der Punkt ist: Wo ist die Fairness? Wenn wir von Paris sprechen: Der Entwicklungsplan öffentlicher Raum des 7. und 8. Bezirks heißt: Neubau und Josefstadt wollen Paris werden. Aber bitte nicht nur einer Branche den rot-pinken Teppich ausbreiten, alle anderen sollen sich danach richten.

Ornig: Ich verstehe diesen Negativ-Spin nicht. Wir sind in der Zollergasse, es gibt doch nichts Schöneres als diese Gasse. Es gibt Fußgänger, Radfahrer, Liefermöglichkeiten, ein halbwegs ausgeglichenes Verhältnis von Handel und Gastronomie, aber auch Zonen ohne Konsumzwang. Ich verstehe diese Angst vor Wildwuchs nicht. Wo ist der Handel benachteiligt? Das ist ein erfundener Spin, dass jemand, der ein Geschäftslokal vermietet, die Gastronomie bevorzugen soll. Das Gegenteil ist der Fall: Vermieter fürchten Probleme mit anderen Bewohnerinnen und vermieten an alle außer die Gastronomie. Das ist ein Schlechtreden, wir haben drei Jahre gesehen, dass es funktioniert.

Reiter: Es gab keine Debatte.

Ornig: Ist das nicht etwas Mimimi?

Reiter: Nein, es geht darum zu sagen: Wer hat welches Interesse? Beispiel Zollergasse: Wir haben umgestaltet, hatten einen partizipativen Prozess. Die Zustimmung war davon geprägt zu sagen: Schanigärten von Mai bis September, das ist okay. Diese Maßnahme schadet dem Commitment zu dieser starken Transformation des öffentlichen Raums. Das ist von euch Mimimi zu sagen: Das waren eh schon Pandemiemaßnahmen. Der Handel sagt, es geht Richtung Foodification. Für Vermieter wird Gastro mit mehr Umsatz noch attraktiver. Welche Betriebe gehen denn derzeit in Konkurs? Der Handel.

Ornig: Die Gastronomie ist genauso unter Druck. Welche Branche ist das derzeit nicht?

Bleiben wir bei den Anrainern. Jetzt wird strenger geregelt, der Wirt muss für gesittetes Verhalten im Freien sorgen, sonst droht dem Schanigarten das Aus. Ist das nicht eine Verbesserung? Die Leute sind ja, Stichwort Rauchen, gerade hier, wo viele fortgehen, sowieso vor den Lokalen.

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