VfGH

Neue ORF-Baustelle: Besetzung der Gremien teils verfassungswidrig

ORF Zentrum Küniglberg
ORF Zentrum KüniglbergDie Presse/Clemens Fabry
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Das Höchstgericht erklärt Teile des ORF-Gesetzes für verfassungswidrig. Denn der Einfluss der Bundesregierung auf den Stiftungsrat ist übermäßig.

Der ORF hat eine neue Baustelle. Das eben reformierte Gesetz mit der Haushaltsabgabe ist noch nicht in Kraft, da hat der Verfassungsgerichtshof schon weitere Teile des ORF-Gesetzes für verfassungswidrig erklärt. Es geht um den Einfluss der Regierung auf die Gremien des Öffentlich-Rechtlichen. Und hier vor allem um den Stiftungsrat, in dem die wichtigsten Entscheidungen getroffen werden. Das Höchstgericht erklärte nun die Regeln, nach denen die Räte berufen werden, zum Teil für verfassungswidrig. In einem am Dienstag veröffentlichten Erkenntnis werden Änderungen gefordert. Das kommt nicht ganz überraschend. In einer Aufsehen erregenden Verhandlung hatten die Verfassungsrichter Ende September viele pikante Fragen an die Regierungsvertreter gestellt. Etwa: Wozu braucht es politische Freundeskreise im ORF? Wieso weiß man schon vorher, wie sie entscheiden werden, etwa wenn es um den Posten des ORF-Chefs geht? Nun ist die spürbare Skepsis der Richter in klare Worte gegossen. 

Regierung stellt zu viele Stiftungsräte

Im Detail betrifft das die Zahl der Stiftungsräte, die von der Regierung direkt bestellt werden. Derzeit sind es neun, während der Publikumsrat nur sechs Mitglieder ins Gremium schickt. Das verstoße gegen das Pluralismusgebot des Verfassungsgesetzes zum Rundfunk. Verfassungsrechtlich unbedenklich indes sei die Bestellung von neun Mitgliedern durch die Bundesländer sowie die Bestellung von sechs Mitgliedern des Stiftungsrats auf Vorschlag der im Nationalrat vertretenen Parteien und von fünf Mitgliedern durch den Zentralbetriebsrat des ORF.

Damit zeigt das Oberste Gericht auch auf, dass es nicht prinzipiell gegen eine politische Mitbestimmung bei der Besetzung des öffentlich-rechtlichen Tankers ist. Denn bei der Verhandlung hatten sich die Richter auch nach einer Lösung für das ewig schwelende Problem der Besetzung erkundigt, die manchem als die einzig wahre Lösung erscheint: ein Expertengremium. Der Verfassungsgerichtshof gibt nun einige Details vor, die geändert werden müssen – wirft das System aber nicht komplett um. Dass die Politik prinzipiell Einfluss haben darf, ist nicht das Thema. Immerhin kann man argumentieren, dass die politischen Parteien ja auch unterschiedliche Lebenswelten, Interessen und Sichtweisen ihrer Wähler widerspiegeln. 

>> Hier das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs

Freilich muss die Bestellung und Zusammensetzung der Gremien so geregelt sein, dass kein staatliches Organ einseitigen Einfluss auf sie hat und damit die Unabhängigkeit des ORF gefährdet. Was derzeit dem Verfassungsgerichtshof zufolge nicht sichergestellt ist. Er sieht einen „übermäßigen Einfluss der Bundesregierung“. Der Grund ist eben auch die Zahl der Mitglieder des Stiftungsrats, die durch die Regierung bestellt werden. Neun Mitglieder werden von der Bundesregierung nominiert, ohne dass sie auf Vorschläge Bedacht nehmen muss. Das sind deutlich mehr, als der zumindest in der Theorie gesellschaftlich repräsentative Publikumsrat entsendet.

Das starke Kommen und Gehen bei den Stiftungsräten, wenn sich die politischen Verhältnisse ändern, wird ebenfalls moniert. Räte werden für vier Jahre bestellt, doch häufig gewechselt, wenn der Wind sich dreht. Man dürfe zwar manche vorzeitig abberufen, aber nicht die Mehrzahl, so das Oberste Gericht. Denn auch das verstoße gegen das Unabhängigkeitsgebot. Auch die Bestellungsmodalitäten des Publikumsrats will der VfGH geändert haben. Der Gesetzgeber müsse die Regelung so austarieren, „dass die unmittelbar von repräsentativen Einrichtungen bestellten Mitglieder zumindest im selben Ausmaß im Publikumsrat vertreten sind wie die vom Bundeskanzler (bzw. von der Medienministerin) bestellten Mitglieder“. Aktuell habe der Kanzler zu viel Spielraum: Während 13 Mitglieder von Institutionen wie etwa Kammern und Kirchen bestellt werden, kann der Kanzler 17 Mitglieder bestimmen – und das weitgehend nach eigenem „Belieben“. Was, so der VfGH, „die verfassungsrechtlichen Gebote der Unabhängigkeit und pluralistischen Zusammensetzung dieses Leitungsorgans des ORF“ verletze.

Wer geht die Reparatur an? Und wie?

Bis Ende März 2025 hat der Gesetzgeber nun Zeit für Änderungen. Zwei große Fragen sind damit verbunden: Wird nur an kleineren Schrauben gedreht – oder eine echte Reform angegangen? Und: Wird die jetzige Koalition das heiße Eisen angreifen oder es der nächsten Regierung überlassen? Die Grünen wünschen sich eine sofortige, große Reform. Die Frist des VfGH bedeute, dass die amtierende Regierung das Vorhaben „umsetzen muss, damit es zeitgerecht dem Parlament zugeleitet werden kann“. Und die ÖVP? Reagierte am Dienstag mehr als verhalten. Man will das Erkenntnis des VfGH erst einmal von Experten prüfen lassen. „Überraschend ist jedenfalls, dass die Gremienstruktur seit Jahrzehnten im Wesentlichen unverändert ist, und dies jetzt mit einem Mal verfassungswidrig ist“, heißt es vom ÖVP-Medienministerium.

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