Ingeborg Bachmann 1954, Campo de’ Fiori, Rom: Der Fotograf Herbert List lernte sie durch einen gemeinsamen Freund kennen, den Komponisten Hans Werner Henze.
Tod vor 50 Jahren

Zu Ingeborg Bachmanns Todestag: Sechs persönliche Empfehlungen

Warum wir der Klagenfurterin verfallen bleiben, Max Frisch sie nicht zerstört hat, und Texte, die unvergessen bleiben: sechs Bachmann-Momente.

Am 17. Oktober 1973 starb die große Autorin Ingeborg Bachmann in ihrem geliebten Rom nach einem Brand in der Wohnung, ausgelöst durch das Einschlafen mit einer brennenden Zigarette. Die Todesumstände dieser Autorin wurden mystifiziert, Passagen ihres Werks als Andeutung darauf gelesen, ihr Lebensfreund Hans Werner Henze erstattete sogar Anzeige gegen unbekannt. „Gab es denn nicht etwa Anspielungen auf einen Tod durch Feuer in ihrem Roman ,Malina‘?“, fragten manche – in diesem Roman, an dessen Ende die Heldin in der sich öffnenden Wand ihrer Wohnung verschwindet und der letzte Satz lautet: „Es war Mord.“ Der 50. Todestag verlockt dazu, Leben und Lebenstragik der mit 47 Jahren verstorbenen Schriftstellerin neu aufzurollen. Zumal der so viele Jahrzehnte unter Verschluss gehaltene Briefwechsel mit Max Frisch diese Beziehung, deren Ende der Autorin so zu schaffen gemacht hat, in neuem Licht zeigt.

Um diese Liebes­geschichte und ihre Bewältigung durch die Autorin geht es auch im neuen Film „Reise in die Wüste“ von Margarethe Trotta. Dennoch ist nicht ihr Leben der Grund, warum Ingeborg Bachmann unvergessen ist, es sind ihre Texte. Wie war es, sie zu lesen, vor zehn, 20, 30 Jahren, wie ist es heute, welche Texte, welche Sätze haben berührt und berühren, und warum? Sechs persönliche Empfehlungen und Erlebnisse aus der „Presse am Sonntag“-Redaktion.

» »Die Liebe hat einen Triumph und der Tod hat einen, die Zeit und die Zeit danach. Wir haben keinen.««

Aus »Lieder auf der Flucht«

»Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar«

Ingeborg Bachmann: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“
Ingeborg Bachmann: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“Piper Verlag

Der Bachmann kann verfallen, wer ihre Gedichte liebt. Oder ihre nicht minder hypnotisierende Prosa. Für ein erstes Kennenlernen dieser 1973 verstorbenen Grande Dame der deutschsprachigen Weltliteratur der Nachkriegszeit – es muss ja keine flüchtige Begegnung bleiben – eignet sich jedoch bestens eine Dankesrede, die sie 1959 bei der Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden für „Der gute Gott von Manhattan“ (auch dafür verehren wir sie) vorgetragen hat: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“. Sie sprach damals von den wesentlichen Aufgaben des Schriftstellers, der sich Gehör verschaffen wolle. Es könne nicht seine Aufgabe sein, „den Schmerz zu leugnen, seine Spuren zu verwischen, über ihn hinwegzutäuschen“. Er müsse ihn, im Gegenteil, „wahrhaben und noch einmal, damit wir sehen können, wahrmachen“. Eine wie Ingeborg Bachmann lässt jene, die sich tapfer darauf einlassen, sehend werden. Sie ermutigt die Leser und Hörer zur Wahrheit. So kommen sie in den Zustand, dass ihnen die Augen aufgehen: „Die Wahrheit nämlich ist dem Menschen zumutbar.“ (norb)

»Malina«

Ingeborg Bachmann: „Malina“
Ingeborg Bachmann: „Malina“Suhrkamp Verlag

Wie vertraut und fremd zugleich ist doch dieses Wien mit seinem „Ungargassenland“ im dritten Bezirk in den 1950ern … Die Autos auf dem Ring fahren gegen den Uhrzeigersinn, zu Hause dreht man am Transistor oder verwickelt sich in den endlosen Schnüren schwarzer Festnetztelefone. Krieg und NS-Grauen sitzen tief in den Knochen, sogar die untergegangene k. u. k. Monarchie wirkt noch nach. Und die 20 Zigaretten täglich rauchende „Gnädige Frau“ diktiert dem „Fräulein“ Sekretärin an der Schreibmaschine verzweifelte Briefe (wer das Buch gelesen hat, lebt weiter mit den wiederkehrenden Zeilen „Ich schreibe Ihnen in höchster Angst und fliegender Eile“ …). Diese „Gnädige Frau“ – das ist die namenlose Ich-Erzählerin, die viel mit der Autorin gemeinsam hat. Sie wohnt mit einem Mann namens Malina in der Ungargasse 6. Drei Nummern weiter wohnt ihr ungarischer Geliebter, Ivan, an ihrer Liebe zu ihm geht die Ich-Erzählerin langsam zugrunde. „Malina“ wieder lesend, das sich mir vor über 20 Jahren eingeprägt hat wie Musik, staune ich, wie unterhaltsam und sprachlich frisch sich dieser weibliche Untergangsroman heute noch liest, wie viel Witz und beißende Kritik in der scheinbar naiv-kindlichen Art steckt, mit der die durchs Leben stolpernde Ich-Erzählerin von ihrem Alltag erzählt, von zur Verzweiflung gebrachten Interviewern oder der Wiener Hautevolee am Wolfgangsee. Und ich trauere um diese Frau, die nicht nur von Ivan wie ein Kind behandelt wird (im „Eifersüchtig sind wir aber nicht, mein Fräulein?“-Ton), sondern auch sich selbst so gibt und so behandelt. Sie, die vom Mann „erlöst“ werden will, ist allein deshalb nicht zu retten – und würde sie noch so sehr von Ivan geliebt. (sim)

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