Neues Buch.

Kromp-Kolb: „Menschen sind weiter als Politik“

Die Klimakrise macht vor nichts und niemandem Halt.
Die Klimakrise macht vor nichts und niemandem Halt.Jonathan Drake
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Klimaexpertin Helga Kromp-Kolb legt ein neues Buch vor: Der neue Band gibt Hoffnung, beschönigt nichts und will eine Diskussion anstoßen.

Das Buch wäre spannend genug, wenn man erst auf den knapp 60 letzten Seiten von „Für Pessimismus ist es zu spät“ (Molden) zu lesen begonnen hätte. Die 75 Jahre alte Klimawissenschaftlerin Helga Kromp-Kolb schildert hier die Auswirkungen der verschiedenen Klimaszenarien auf unser alltägliches Leben in dramatischer Deutlichkeit.

Bei 35 Grad Celsius beginnen die gesundheitsgefährdenden Probleme; bei einer Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent liegt die kritische Grenze bei 45 Grad Celsius - Wärme kann nicht mehr abgeführt werden. „Aber schon bei niedrigeren Temperaturen kann es bei körperlicher Betätigung oder fehlender Flüssigkeitszufuhr gefährlich werden.“

Eine Erwärmung von bereits 1,5 Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts führt uns deutlich und spürbar aus der Komfortzone und ändert das Klima und damit die Wettermuster dramatisch. Dies ist nicht zuletzt den Rückkoppelungseffekten, von denen die Wissenschaft bisher 41 identifiziert hat - die meisten von ihnen eine Rückkoppelung zum Negativen, bei einigen wenigen zum Positiven – und bei vielen sind die Konsequenzen noch Gegenstand der Forschung.

„Unvereinbar mit organisierter Gesellschaft“

Schonungslos listet sie auf, dass die 1,5 Grad aus heutiger Sicht kaum noch erreicht werden können, die zwei Grad nur, wenn (weltweit) alle politischen Zusagen auch eingelöst werden; die Welt schlitterte in ein Drei-Grad-Szenario, wenn lediglich die zugesagten Maßnahmen auch tatsächlich umgesetzt werden. Für Berlin bedeutete dies zum Beispiel, dass mit Temperaturen zu rechnen ist wie heute in Madrid. Die Erwärmung von drei Grad führt auch dazu, dass sich ein Sechstel der Ökosysteme nicht mehr anpassen kann.

Schließlich ist bei einer Erwärmung von vier Grad (Szenario „Business as usual“, wenn also aufgrund von Krisen bereits beschlossene Maßnahmen revidiert werden und die klimapolitische Uhr zurückgedreht wird) so gut wie nicht mehr beherrschbar: Dieses Verwässern angekündigter Maßnahmen führt etwa dazu, dass die Temperaturmaxima in New York zehn bis zwölf Grad höher wären als heute. Vier Grad mehr bedeutet, dass kein Ökosystem mit den anderen klimatischen Zuständen mehr zurechtkommt. „Eine Vier-Grad-Zukunft ist unvereinbar mit einer organisierten globalen Gesellschaft.“

Nicht mehr und nicht weniger. Die Klimawissenschaftlerin, die – mit dem Zug – quer durch Österreich reist, Vorträge hält und in Diskussionen landauf, landab einerseits die Notwendigkeit von sofortiger Maßnahmen schildert und andererseits versucht, Hoffnung zu gebe, liefert aber nicht nur eine dichte Zusammenschau, welche Klimaszenarien es gibt und was sie für uns bedeuten. Sie geht über ihr Buch „Plus Zwei Grad“ hinaus, das sie 2018 gemeinsam mit dem Klimaforscher Herbert Formayer verfasst hat. Nun schaut weit über den Tellerrand ihre Fachs hinaus und spannt einen Bogen von Kaiser Franz Josef bis hin zu den Szenarien, die ins 22. Jahrhundert wirken.

Dabei gesellschaftliche Entwicklungen großen Raum ein. Sie stellt dabei den Alltag und dessen Folgen für die Umwelt dar und macht als einen wesentlichen Wendepunkt die 1980er Jahre aus, als in Großbritannien Margaret Thatcher Premierministerin und wenig später in den USA Ronald Reagan als Präsident an der Macht waren. Der Neoliberalismus sei durchgestartet, und das blieb für die Umwelt nicht ohne Folgen. Kromp-Kolb plädiert nun auf Entschleunigung und für ein Überdenken, welche Werte das gesellschaftliche Leben bestimmen.

Politik: Nach Corona keine Kurskorrektur

Die Politik kommt ebenfalls nicht ungeschoren davon. Die Pandemie habe gezeigt, was innerhalb kürzester Zeit möglich sei, andererseits habe ihr die kritische Aufarbeitung der Entscheidungen gefehlt. Die Hauptkritik der Klimawissenschaftlerin zielt darauf ab, dass nach Corona nicht die Gelegenheit genutzt worden sei, Maßnahmen einzuleiten, um Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung zu verringern.

Sie stellt dabei diesen Vergleich an: „Stellen Sie sich vor, Sie wollen Ihr Haus schon seit geraumer Zeit umbauen – das Heizsystem auf Erneuerbare umstellen, Photovoltaik auf das Dach setzen, Abschattung gegen die Sommerhitze vorsehen und die Zimmereinteilung verändern. Die Pläne für den Umbau liegen in großen Zügen bereits vor, aber sie glauben sich den Umbau nicht leisten zu können oder scheuen den Aufwand. Dann kommt ein Erdbeben, und ein Teil des Hauses stürzt ein. Um das Haus wieder bewohnbar zu machen, müssen Sie mehr Geld in die Hand nehmen, als Sie je dachten. Sie müssten schon sehr dumm sein, würden Sie das Haus wieder so aufbauen, wie es war, und die schon lange vorgesehenen Umbauten auf später verschieben. Erstens hätten Sie „später“ dafür kein Geld mehr – im Gegenteil, Sie werden Schulden abbauen müssen – und zweitens würde die psychische Kraft zum nochmaligen Umbau fehlen. Wenn Sie hingegen den Wiederaufbau für den Umbau nutzen, haben Sie wahrscheinlich auch Schulden, aber Sie sind nach der Katastrophe besser dran als vorher.“

Die Politik sei falsch abgebogen und habe eine Chance vertan. Eine Umkehr zur einem klimaverträglichen Pfad sei bisher nicht auszumachen. In ihren Ausführungen entlässt sie die Politik nicht aus ihrer Pflicht zur Ausgestaltung einer klimaverträglichen Zukunft, fordert aber von jeder und jedem Engagement. Sie tourt durch das Land (mit dem Zug), um Klimawissenschaft und Klimakrise zu erklären und zu diskutieren, was dagegen unternommen werden kann, meint, dass die „Menschen viel weiter sind als die Politik“ und beschließt das Buch mit diesen Sätzen: „Bei ausgeglichenen Waagschalen genügt eine Feder, um das Gleichgewicht zu kippen. Auf welche Waagschale legen Sie Ihre Feder?“

Ein Interview mit Helga Kromp-Kolb erscheint am Samstag in „Wissen & Innovation“ .

Zur Person.

Helga Kromp-Kolb gilt als die Doyenne der Klimawissenschaft in Österreich. Sie studierte Meteorologie und promovierte 1971 an der Uni Wien, Habil 1972. Nach Tätigkeit an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik und der San José State University leitete sie bis 1995 die Abteilung Umweltmeteorologie der Uni Wien. 1995 wurde sie Universitätsprofessorin am Institut für Meteorologie der Universität für Bodenkultur in Wien.

Das Buch.

„Für Pessimismus ist es zu spät. Wir sind Teil der Lösung“ (Molden Verlag, 224 Seiten).

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