Humanoid und ethisch begleitet

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Künstliche Intelligenz und Robotik sind dabei, den Möglichkeitsspielraum bei gesellschaftlichen Herausforderungen wie dem ­Pflegenotstand enorm zu erweitern. Zu arbeiten ist noch am ­Aufbau von ­Vertrauen in (autonome) Robotersysteme.

Beim Thema Pflegenotstand sind sich alle einig. An demografischer Entwicklung und gut belegten Zahlen gibt es kein Vorbeikommen. „In Österreich fehlen bis zum Jahr 2030 rund 90.900 Pflegekräfte, davon 82.700 diplomierte Pflegeassistenten und Pflegefachassistenten sowie 8.200 Heimhelfer“, weiß Erich Fenninger, Geschäftsführer der Volkshilfe. In Deutschland ist die Situation nicht anders. Knapp fünf Millionen Menschen waren Ende 2021 pflegebedürftig. Allein durch die zunehmende Alterung wird die Zahl pflegebedürftiger Menschen laut Pflege­vorausberechnung des Statistischen Bundesamtes (Destatis) bis zum Jahr 2055 um rund 37 Prozent zunehmen. Unter der Annahme konstanter Pflegequoten prognostiziert die Berechnung einen Anstieg der Anzahl Pflegebedürftiger in diesem Zeitraum auf rund 6,8 Millionen Menschen. An den notwendigen Fachkräften mangelt es in allen Pflegeberufen jedoch schon jetzt. Die Situation spitzt sich zu und intelligente Lösungen sind gefragt. Künstlich intelligente?

Individuelles Eingehen.

Der humanoide Roboterassistent Garmi ist eine Roboterplattform, die Senioren bei Aktivitäten des täglichen Lebens hilft. Er kann einen Patienten bei Rehabilitationsübungen physisch unterstützen und sogar dem Arzt bei den ersten Schritten eines telemedizinischen Arztbesuches assistieren. Durch die Ausstattung von Garmi mit Geräten wie EKG-, Blutdruck- und Ultraschallmessern, kombiniert mit dem Einsatz von IoT-Sensoren, hat der Arzt Zugriff auf relevante Gesundheitsparameter, um im Ernstfall schnell handeln zu können. Garmi ist auch dazu konzipiert, die Interaktion mit Familie und Freunden zu verbessern, indem die audiovisuelle Kommunikation durch einen haptischen Kanal ergänzt wird. Der Assistenzroboter soll einmal in der Pflege eingesetzt werden.

Garmi ist die Erfindung von Professor Sami Haddadin vom Lehrstuhl für Robotik und Systemintelligenz der TU München (TUM): „Der erste Schritt ist, dass die Pflegekräfte und das medizinische Personal eine Art Vorprogrammierung vornehmen, dass sie also den Roboter wie jedes andere Werkzeug voreinstellen. Der zweite Schritt ist, dass die Systeme sich über maschinelles Lernen und intelligente Algorithmen auf die zu pflegenden Personen einstellen, um auf die individuellen Bedürfnisse und das Verhalten der Personen dann nach und nach eingehen zu können.“ Bleibt die Frage, ob Garmi auch von den Betroffenen angenommen wird.

Akzeptanz bei Älteren.

Eine Antwort darauf versucht Wissenschaftlerin Eva Theresa Jahn vom Munich Institute of Robotics and Machine Intelligence (MIRMI) zu finden. Sie hat im Rahmen des Forschungsprojektes KoBo34 untersucht, wie der Pflegeroboter aus dem Geriatronik-Forschungszentrum in Garmisch-Partenkirchen bei den Menschen ankommt. Eine Befragung fand im Rahmen der Robotik-Ausstellung KI.Robotik. Design in der Pinakothek der Moderne in München statt. Der MIRMI-Pflegeroboter war dabei vor Ort, so dass die 250 Umfrageteilnehmer einen direkten Eindruck von ihm bekamen. Die Ergebnisse waren laut Jahn ermutigend. In Hinsicht auf potenzielle Aufgaben, die ein Pflegeroboter übernehmen kann, kommt Garmi besonders unter älteren Personen (51 Jahre und älter) gut an. Egal ob es um Unterstützung im Haushalt, um eher körpernahe Dienstleistungen wie Massage, Hygiene und Ankleiden, Unterstützung in der Mobilität wie Aufstehen und ins Bett gehen oder den Einsatz von Medien wie etwa Video, Telefon, Alarmfunktionen oder Internet geht: Auf einer Bewertungsskala von 1 (negativ) bis 5 (positiv) ergaben sich durchschnittlich sehr gute Werte von knapp 4.0.

Aufschlussreich ist zudem die Erkenntnis, dass Personen, die Erfahrung in der Pflege besitzen, Garmi durchweg als sympathischer bewerteten als Befragte, die nicht in der Pflege beschäftigt sind. „Grund dafür könnte sein, dass Pflegekräfte im Beruf sehr stark eingebunden sind und sich Unterstützung von einem Pflegeroboter erhoffen“, meint Wissenschaftlerin Jahn. Die Essenz der Untersuchung: Besonders im Krankenhaus und in Pflegezentren hält die Generation 51+ den Pflegeroboter für geeignet.

Von Roboter zu Roboter.

Dass insbesondere Kopf und Gesicht bei der Umfrage als sympathischste Körperteile identifiziert wurden, ist für Alin Albu-Schaeffer, Robotik-Experte am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und an der TUM, keine Überraschung: „Je menschlicher die Umgebung eines Roboters und je vielfältiger seine Aufgaben sein müssen, umso wichtiger ist, dass er humanoid ist.“

»Je menschlicher die Umgebung eines Roboters und je vielfältiger seine Aufgaben sein müssen, umso wichtiger ist, dass er humanoid ist.«

Alin Albu-Schaeffer

Robotik-Experte am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und an der TUM

Rein technisch sind die erheblichen Fortschritte in der künstlichen Intelligenz ein Treiber der Entwicklung. Bild- und Spracherkennung bis hin zum Sprachgenerator ChatGPT und Echtzeittechnologien ermöglichen laut den TUM-Experten künftig weitere Entwicklungen. Das Ziel lautet: Roboter sollen sich in jeder Umgebung im Alltag zurechtfinden können. Der Weg dorthin führt über die Kompetenz, autonome Entscheidungen zu treffen. „Der Roboter erfordert einen physischen Körper und künstliche Intelligenz“, so Albu-Schaeffer, der von verkörperter Intelligenz spricht, engl. embodied intelligence.

Maschinelles Lernen in Roboter integrieren, damit sie komplexere Aufgaben erledigen können, das ist das Spezialgebiet von TUM-Professorin Angela Schoellig, Director Industry & International im MIRMI: „Der ideale Roboter wird sich in komplexen Umgebungen bewegen und selbst die Planung übernehmen. Er braucht nicht von Hand programmiert zu werden, ist lern- und anpassungsfähig.“ Wenn ein Roboter etwa in einem Gebäude selbständig einen Raum finden soll, muss er Fähigkeiten erlernen, um den Aufzug zu erkennen, den Knopf zur richtigen Etage zu drücken, zu wissen, welchen Flur er nehmen und welche Tür er aufmachen muss. Dabei gilt es Gegenstände zu erkennen, den Aufzugsknopf dosiert zu drücken, Hindernissen auszuweichen oder bei Bedarf nach dem Weg zu fragen. Schlussendlich sollen Roboter nach erfolgreicher Arbeit zusätzlich fähig sein, ihr Wissen an andere Roboter weiterzugeben, wobei laut Schoellig dabei im Prinzip die gleichen Funktionsmechanismen wie bei ChatGPT zur Anwendung kommen: „Viele haben etwas ins Internet gestellt. Das lernt nun ein neuronales Netz.“

Eine besondere Herausforderung für die Robotik liegt in der Vielfalt der Systeme. Setzen die Roboter unterschiedliche Machine-Learning-Modelle oder Sensoren ein, ist es aktuell noch schwierig, die Erkenntnisse zu übertragen und etwa via Cloud allen anderen Robotern zur Verfügung zu stellen.

Eine Frage von Vertrauen.

Um der Kombination aus Robotik und Künstlicher Intelligenz zum breitenwirksamen Durchbruch zu verhelfen, braucht es laut Experten freilich nicht nur weitere technologische Fortschritte. Sie arbeiten zugleich daran, Vertrauen in die intelligenten Systeme zu schaffen.

Ende 2022 erschien zu diesem Thema das Buch „Trust in Robots“. Die Autoren, TU Wien Robotikexperte Markus Vincze und TU Arbeitswissenschaftlerin Sabine Köszegi, Mitglied des UNESCO Fachbeirats für Ethik der Künstlichen Intelligenz, bringen die Problematik in der Buchpräambel auf den Punkt: „Roboter halten zunehmend Einzug in unser tägliches Leben, in unsere Wohn- und Arbeitsräume. Wir hoffen, dass Roboter mühsame, langweilige oder schmutzige Aufgaben übernehmen und unser Leben bequemer, einfacher und angenehmer machen, indem sie uns begleiten und unterstützen. Roboter können jedoch auch Privatsphäre, die Sicherheit und die Autonomie des Menschen bedrohen, daher ist eine ständige Kontrolle der sich entwickelnden Technologie erforderlich, um wohlwollenden Absichten und die Sicherheit autonomer Systeme zu gewährleisten. Der Aufbau von Vertrauen in (autonome) Robotersysteme ist daher notwendig.“

»Roboter halten zunehmend Einzug in unser tägliches Leben, in unsere Wohn- und Arbeitsräume. «

Sabine Köszegi &  Markus Vincze

Autoren „Trust in Robots“

Getreu dem Motto „Vertrauen in Roboter – Vertrauende Roboter“ befasst sich die Schrift mit der Entwicklung von Technologie, die für die Benutzer vertrauenswürdig ist. Diese Themen stehen auch im Mittelpunkt des gleichnamigen interdisziplinären TU Wien Doktoratskollegs, das bereits im September 2018 gegründet wurde, um die Spitzenforschung im Bereich Robotik und KI an der TU Wien zu fördern. Nachgegangen wird hier einer Reihe von grundsätzlichen Fragen. Wie können Menschen ein angemessenes Vertrauensverhältnis zu autonomen Maschinen entwickeln? Wann ist Vertrauen in ein autonomes System angebracht? Wann sollten wir einem Pflegeroboter vertrauen, dass er die richtigen Entscheidungen trifft? Wann wäre es ratsam, nicht zu vertrauen? Welche Erfahrungen sollten unser Vertrauen in die Technologie verändern?

Robotik Quo vadis?

Einblicke auf Antworten zur Frage, wie unsere menschliche Zukunft mit KI-gestützten Robotern aussehen wird, gab Sabine Köszegi zuletzt etwa als Eröffnungsrednerin beim Symposium „Impact Lech“. Im Fokus standen zum einen die neuen Möglichkeiten, die Roboter und KI eröffnen.

Die Rede war von der Hoffnung getragen, dass autonome, intelligente Maschinen den Menschen von Routinearbeiten befreien und so Raum für kreative und für den Menschen sinnstiftende Aufgaben schaffen. Die Chance, mit der Hilfe von KI bessere Entscheidungen treffen zu können, ist eine Chance für die Bewältigung von zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen, am Beispiel von Klima- oder Pflegekrise. Zum anderen betonte ­Köszegi das Unbehagen, das Menschen im Umgang mit KI empfinden können, was nicht zuletzt an der disruptiven Kraft der Technologie liegt, die zu großen Veränderungen führen kann.

Ob KI-Robotik Technologie ermächtigt oder entmachtet, hängt laut der Expertin von der Beantwortung dreier entscheidender Design Fragestellungen ab: Wie menschlich sollen Roboter gestaltet werden? Wo liegt die Handlungsmacht – beim Menschen oder bei der Maschine? Und wer gibt letztendlich die Ziele für die Maschine vor, bzw. wer ist am Design beteiligt?

Die Fragen beziehen sich somit auf das Verhältnis von Mensch und Maschine. Will man Vertrauen schaffen, müsse der Mensch zu jeder Zeit die Kontrolle und Übersicht über die Maschine behalten. „Der Mensch entwickelt ja die KI Systeme. Es liegt also an uns Menschen, was wir aus der Technik machen“, so Köszegi. Entscheidend sei die Gestaltung dieser Technologien, die sich an die Bedürfnisse der Menschen anzupassen haben und nicht umgekehrt.

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Sozialer Kontext.

Als Expertin für sogenannte soziale Roboter und Leiterin eines TU Wien Projekts zum Thema Pflege-Robotik ist Sabine ­Köszegi am Puls der Zeit, wenn es um Einsatz von Maschinen in sensiblen menschlichen Bereichen geht.

„Wir starten mit der Frage: Was sollte die Robotik in der Pflege leisten, statt was könnte sie leisten?“, lautet der Missionssatz des Projekts „Caring Robots // Robotic Care“, eine transdisziplinäre Forschungskooperation zwischen der TU Wien, der Universität Salzburg, der Caritas Wien und dem Technischen Museum Wien. Ziel des 2022 gestarteten 5-Jahres-Projekts ist es, Robotik-Technologie in der Pflege neu zu denken, indem eine Technologie entwickelt wird, die nützlich, sicher, sinnvoll und gewünscht ist − und zwar durch einen Designprozess, der Pfleger, Menschen in der Pflege, Pflegeorganisationen und andere Stakeholder einbezieht. „Pflegearbeit findet immer in einem bestimmten Kontext statt, in dem institutionelle Rahmenbedingungen, Technologie und Menschen miteinander verwoben sind. Innerhalb eines Verhältnisses von gegenseitiger Abhängigkeit und Verletzlichkeit verhandeln Pflegende und Pflegebedürftige gemeinsam ihre Rollen, Autonomie, Pflege und Verantwortung in einer bestimmten Pflegepraxis“, heißt es seitens der Projektverantwortlichen. Beteiligten werden in diesem Sinne in eine Reihe von Fallstudien und Workshops in verschiedenen Pflegeumgebungen einbezogen, von der institutionellen und halbinstitutionellen Pflege über die mobile Pflege bis hin zur 24-Stunden-Pflege zu Hause. Jeder Fall befasst sich mit spezifischen Pflegeherausforderungen, wie beispielsweise dem kognitivem Abbau und der sozialen Isolation. Gesucht werden praxistaugliche Antworten auf die Frage: Welche technologischen Möglichkeiten gibt es, um Unterstützung zu leisten, und was sind die damit verbundenen Probleme in Bezug auf Arbeit, Privatsphäre und Ethik?

Drei Sekunden.

Von den unglaublichen Möglichkeiten, die KI auf diesem Weg bietet, weiß die TU Wien Key-Researcherin am Projekt Caring Robots // Robotic Care, Astrid Weiss, zu berichten. „Generative KI, am derzeit prominenten Beispiel von ChatGPT, kann auf der Basis von kurzen Hinweisen, etwa in Form von allgemeinen Fragen oder genauen Ausführungsanleitungen, alle möglichen Arten von Text generieren, die mithilfe von Text-to-Speech-Synthese schließlich auch einem sozialen Roboter neue Dialogfähigkeit verleihen“, so die Forscherin kürzlich in einem Gastblog in einer österreichischen Tageszeitung.

Weiss bringt das Beispiel des von Microsoft entwickelten Modells VALL-E, das menschliche Sprache auch mit ex­trem kurzen Audio-Inputs imitieren können soll. Dem Text-to-Speech KI-Modell reicht zum Lernen eine 3-sekündige Originaldatei eines Sprechers. Danach liest VALL-E beliebige Texte des menschlichen Vorbilds mit dessen Stimme vor.

Möglich ist dies laut Entwicklern, indem auf eine hochgradig nicht-deterministische Zuordnung zwischen Text und Sprache gesetzt wird. Die nichtdeterministische Zuordnung ist nützlich, da sie es VALL-E erlaubt, aus verschiedenen Sprachdaten zu lernen, ohne dass diese Variationen sorgfältig gekennzeichnet werden müssen. Das bedeutet, dass die KI auf vielfältigeren Daten und einem viel größeren Datenumfang trainieren kann.

Was man damit zum Beispiel im Pflegeeinsatz von Robotern anfangen könnte, spinnt Forscherin Weiss in ihrem Blog weiter: „Lassen wir einen humanoiden Roboterkopf also Dialoge führen und mit Fotos ,gemeinsame‘ Erlebnisse dokumentieren. Der Roboter lernt über das ,Zusammenleben‘ mit uns, wer wir sind, und kann diese Information später mit dem Pflegepersonal teilen. Wir könnten uns damit selbst auf eine mögliche Demenz vorbereiten, aber nicht nur das. Unsere Person bleibt durch den Roboter verkörpert für die Nachwelt erhalten. Das wäre eventuell auch eine Erleichterung für Partner und pflegende Angehörige.“

Weiss betont gleichzeitig, dass sie mit dem Beispiel in erster Linie einmal die Möglichkeiten aufzeigen will, die gerade im Entstehen sind. Dass dabei auch eine Vielzahl an Fragen aufgeworfen wird, versteht sich von selbst: „Der Technologiesprung der generativen KI hat den Möglichkeitsspielraum weit über einen bloßen Inhaltsgenerator hinaus erweitert. Wir müssen also aus ethischer und rechtlicher Sicht überlegen, was Technologie in Zukunft darf und soll.“

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