Bildung

Schule in Zeiten des Krieges

In der MM Aspern setzen Direktorin Pfingstner (Mitte) und Lehrerin Vanyek (Zw. v. r.) auf Prävention „und einen konstruktiven Umgang mit Konflikten“.
In der MM Aspern setzen Direktorin Pfingstner (Mitte) und Lehrerin Vanyek (Zw. v. r.) auf Prävention „und einen konstruktiven Umgang mit Konflikten“.Caio Kauffmann
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Der Nahost-Konflikt ist in Österreichs Klassenzimmern angekommen. Er ist Thema im Unterricht und mancherorts bei Auseinandersetzungen unter den Schülern. Helfen können Dialog und Prävention.

Die Warnung des Zentralrats der Juden in Deutschland war deutlich: An deutschen Schulen habe die antisemitische Stimmung in Form von Unterstützung des Terrors der Hamas eine neue Dimension erreicht. Ein Begegnungsprojekt, bei dem sich jüdische mit nicht jüdischen Schülern austauschen, musste von einer Schule in Niedersachsen abgesagt werden, „weil die Stimmung der Schülerschaft so aufgeheizt israel- und judenfeindlich sei, dass sie Ausschreitungen nicht ausschließen können“, so ein Sprecher des Zentralrates.

Zuvor war es in Berlin-Neukölln an einem Gymnasium zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen einem Lehrer und einem Schüler gekommen, weil laut Polizei ein anderer Schüler mit palästinensischen Symbolen zum Unterricht gekommen war, und der Lehrer das verbieten wollte. Es gebe in Berlin auch einen Ansturm an Anfragen von Schulen an die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, wie mit Konflikten unter Schülern rund um die Situation im Nahen Osten umgegangen werden soll, berichtet die Leiterin der Stelle im „ZDF“-Interview.

Während es in Österreich laut Kenntnisstand des Bildungsministeriums noch zu keinen größeren Zwischenfällen im Zusammenhang mit den aktuellen Entwicklungen in Israel gekommen ist, wächst auch hier die Sorge. Wie werden sich Kinder in den kommenden Tagen und Wochen verhalten, die etwa Verwandte in Gaza haben, wie die Kinder, bei denen der Hamas-Terror zu Hause als Notwehr gesehen wird? Und was sollen Pädagogen in solchen Fällen tun?

Awi Blumenfeld, Leiter des Instituts für Jüdische Religion an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems bestätigt im Gespräch mit der „Presse“, dass es entsprechende Auseinandersetzungen zwischen Kindern gibt. Er erzählt etwa von einem Streit zwischen einer jüdischen und einer muslimischen Zwölfjährigen, den auch die Lehrerin nicht habe managen können. Oder von jüdischen Kindern, die sich aus Sorge vor Anfeindungen nicht mehr zum Training ihrer Sportvereine trauen. Bildungsexperte Daniel Landau sagt: „Den Luxus, bestimmte Themen aus der Schule herauszuhalten, hat man nicht. Ich bekomme von Kollegen mit, wie sich die Lebensrealität der Kinder auch bei diesem Thema ins Klassenzimmer hineinschleppt.“ Konfliktpotenzial gibt es laut Blumenfeld vor allem in den Städten, auf Israel bezogener Antisemitismus komme von rechts, der extremen politischen Linken, von der ein Teil die BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) unterstütze, sowie unter anderem von Menschen mit migrantischem Hintergrund.

Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) hat auf die Gewalteskalation im Nahen Osten schnell reagiert. Sie tritt für ein Ende der Gewalt und eine friedliche Konfliktlösung ein. Noch am vergangenen Sonntag erging ein Schreiben des Schulamts der IGGÖ an die islamischen Religionslehrer, in dem unter anderem dazu angehalten wird, interreligiösen Dialog und Zusammenarbeit zu vermitteln.

Herausfordernde Zeit

Ihnen seien noch keine Probleme gemeldet worden, sagen der Präsident des Bundeselternverbands, Marcus Dekan, und der oberste Lehrergewerkschafter, Paul Kimberger. Letzterer stellt sich dennoch auf eine herausfordernde Zeit für die Pädagogen ein, speziell wenn es zu einer Bodenoffensive Israels in Gaza kommen sollte.

Denn dass das Thema die Kinder stark beschäftigt, zeigt sich auch beim Gespräch mit drei Schülerinnen der Modularen Mittelstufe Aspern im 22. Bezirk und ihrer Direktorin, Doris Pfingstner. „Zu Konflikten kam es bislang nicht, aber die Kinder haben viele Fragen“, sagt die Schulleiterin. Die 15-Jährige Anita hat aus dem Fernsehen vom Angriff auf Israel erfahren, ihre Klassenkollegin Jessica (13), als am Montag im Geografie-Unterricht darüber gesprochen wurde. „Die Juden hatten nach der Vertreibung durch die Römer kein eigenes Land“, gibt Anita wieder, was sie gelernt hat. Und: „Israelis und Palästinenser hätten beide ein Recht auf Frieden.“ Anastasia (13) hat schon zuvor über den Konflikt im Nahen Osten Bescheid gewusst. Eine Freundin habe Familienmitglieder in Jordanien, mit ihr hat sie darüber geredet. Sonst wäre es unter Gleichaltrigen kaum Thema, sagen die Mädchen. Jessica hat mit ihren Eltern gesprochen. Sie macht sich Sorgen, dass nach der Ukraine und Israel auch in Österreich etwas passieren könnte. Ihre Eltern hätten aber gesagt, dass das sehr unwahrscheinlich sei. 

Die Kinder kämen mit sehr unterschiedlichen Kenntnissen rund um das Thema, erzählt Bettina Vanyek, die an der Schule Politische Bildung unterrichtet. Viele brächten vom Umfeld und sozialen Medien beeinflusst eine Meinung mit. Es sei Aufgabe der Schule aufzuzeigen, was man in einer Demokratie mit Toleranz ausdiskutieren könne, und wo die Grenzen liegen, sagt sie. Gewalt sei immer eine Grenze, die nicht überschritten werden darf. Die Schule arbeite präventiv sehr viel, damit Zustände, wie sie aus Deutschland beschrieben werden, gar nicht erst aufkommen. „Gegenseitiger Respekt und ein konstruktiver Umgang mit Konflikten sind extrem wichtig, um ein friedliches Schulklima in unserer multikulturellen Gesellschaft zu schaffen“, sagt Direktorin Pfingstner. 

Ein Ansatz, den Bildungsexperte Landau teilt. Es sei auch mit die Verantwortung der Lehrenden zu vermitteln, dass Terror nie eine Lösung sein könne und „dass es gerade nach diesen gleichsam Abschlachtungen der Zivilgesellschaft undenkbar bleiben muss, hier das eine mit dem anderen zu rechtfertigen“. Blumental sieht den Dialog als wichtigstes Mittel, darum glaubt er auch und gerade jetzt an die Wirkung von Programmen wie „Likrat“, bei denen jüdische Jugendliche Workshops an Schulen halten. „Allein durch den Dialog wird Diskussionen schon oft das Feuer genommen“, sagt er.

Fakten

Hilfe für Schulen

Die Bildungsdirektion Wien bietet Informationsmaterial zum Nahost-Konflikt an, um eine Befassung mit den Geschehnissen im Unterricht zu ermöglichen. Es gehe um Aufklärung und Prävention, wobei die Entwicklung in Nahost im Fach Geschichte und politische Bildung aktiv angesprochen werden könne. Sollten sich akute Probleme an einzelnen Schulstandorten zeigen, könne über die Bildungsdirektion auch professionelle Hilfe durch Schulpsychologen angefordert werden, heißt es. Die Pädagogische Hochschule hält am 19. Oktober eine Informationsveranstaltung für Lehrkräfte unter dem Titel „Krieg gegen Israel“ ab.

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