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Die Daheimbleiber: Warum junge Menschen seltener fortgehen

Freitagabend, Netflix and chill: Zeit mit Freunden auf der Couch, wie in der Kultserie „Friends“ zelebriert, ist vielen Jungen lieber als Lokalrunden und WG-Partys. Was steckt hinter dem Neobiedermeier?
Freitagabend, Netflix and chill: Zeit mit Freunden auf der Couch, wie in der Kultserie „Friends“ zelebriert, ist vielen Jungen lieber als Lokalrunden und WG-Partys. Was steckt hinter dem Neobiedermeier?IMAGO/Ramon van Flymen
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Junge Menschen zieht es seltener hinaus in die Nacht: Die Beislrallye von damals weicht immer öfter dem Brettspiel im Wohnzimmer. Hat das Klischee vom wilden Studentenleben ausgedient?

Study hard, party harder: Anekdoten von durchzechten Nächten zwischen WG-Partys, klebrigen Tanzflächen und verrauchten Eckbeisln dienten lange Zeit zur allgemeinen Belustigung zwischen Unibibliothek und Vorlesungssaal. Sie waren bunt, verrückt und oft lückenhaft. Durch Filme wie „American Pie“ wurde das studentische Besäufnis spätestens Anfang der 2000er-Jahre in der Popkultur tief verankert. Dabei wurde es weitgehend idealisiert und in roten Beer-Pong-Bechern auf viktorianischen Verandas von „Frats“-Villen serviert, wie sie in den Straßen rund um US-Unicampusse oft zu finden sind. Das Studium erschien darin als ein Leben voller unaufhörlicher Partys, ohne Tabus, Pflichten und Prüfungstermine.

Das Feiern ist für die meisten Studierenden immer noch charakteristisch für die Übergangsphase zwischen Jugend und Erwachsenenleben. Eine Zeit, die im Nachhinein gerne als lasterhaftes, unbeschwertes Dahinleben verklärt wird, das so lange wie möglich ausgekostet werden sollte. Die Coronapandemie hat jedoch maßgeblich etwas daran verändert.

Statt Pubquiz im Eckbeisl und Tanzen im Club werden von vielen inzwischen das Picknick im Park und das Dinner auf der Dachterrasse bevorzugt. Denn junge Menschen wollen heute weniger trinken, rauchen und Geld ausgeben. Prinzipiell, um gesünder und umweltschonender zu leben. Doch nicht nur deshalb.

Das Ende des Gelages

Die exzessiven Feiern, die sich durch die Pandemie jahrelang nicht ergeben haben, passen kaum zu jenem Lifestyle, den sich die Generation Z gerne zuschreibt: Nachhaltigkeit, schonungsvoller Umgang mit Ressourcen (auch den eigenen!) und Achtsamkeit sind erwünscht. Die wirtschaftliche Lage, kriegsbedingt und gekommen, um zu bleiben, erschwert die Lage. Umso mehr könnte man da denken, dass die Flucht in Rauschzustände das Mittel der Wahl wäre. Die aber ist nur noch bedingt finanzierbar: Weniger Geld von den Eltern bedeutet, mehr Nebenjobs annehmen zu müssen und weniger Zeit für Freizeitaktivitäten zu haben.

Daneben hat die immer wieder erzwungene Isolation dazu beigetragen, dass Menschenansammlungen und heiße Innenräume abschreckender wirken als zuvor. Die letzten Jahre haben junge Menschen grundlegend verändert. Manche sind aus ihren Wohnzimmern nie wieder auf die Tanzflächen und in die Konzerthallen zurückgekehrt. Jene, die zu Pandemiezeiten erst erwachsen wurden, waren dort womöglich noch gar nie.

„Freitag, Spieleabend?“.
„Freitag, Spieleabend?“.Petra Winkler/Die Presse

„Wir waren es früher gewohnt, immer wieder größere Partys im Studentenheim zu haben. Die gibt es in der Größenordnung nicht mehr“, sagt Thomas Angster. Er ist Bereichsleiter für Studierende und Jugend in der (parteipolitisch unabhängigen) Österreichischen Jungarbeiterbewegung (ÖJAB). Diese führt als gemeinnütziger Verein 23 Jugend- und Studierendenwohnheime in ganz Österreich und bietet insgesamt 4000 Studierenden Wohnraum. Angster sieht eine deutliche Veränderung verglichen mit der Zeit vor der Coronapandemie: In vielen Heimen gebe es Bars, „für die es aktuell einfach keine Nachfrage gibt“.

»Durch Filme wie „American Pie“ wurde das studentische Besäufnis in den 2000er-­Jahren in der Popkultur tief verankert – und weitgehend idealisiert, serviert in roten Beer-Pong-Bechern.«

Keine Freiwilligen, kein Fest

Beispielhaft sind die Feste, die der ÖJAB jährlich veranstaltete. Das B3-Gartenfest etwa war ein großes Straßenfest im und um das ÖJAB-Haus in der Bürgerspitalgasse im sechsten Wiener Bezirk. Seit der Coronapandemie findet es nicht mehr statt, weil sich kaum mehr Freiwillige finden, die mithelfen wollen.

Petra Winkler/Die Presse

„Corona hat mit den jungen Menschen etwas gemacht und viele haben dadurch etwas den Boden unter den Füßen verloren“, sagt Angster. Sie würden die Gemeinschaft seltener suchen als früher. „Man muss sie fast schon zum Feiern überreden.“ Angster möchte die Jugend in dieser Situation abholen, „damit sie sich in Zukunft wieder mit Vertrauen in eine Gemeinschaft einbindet“.

Auch andere Studierendenheimträger berichten von einer sinkenden Feierlaune: Etwa im ikonischen Wiener Pfeilheim, in dem Polizeieinsätze legendär sind, bei denen das für rund 400 Menschen konzipierte Haus von Tausenden Feierwütigen geräumt werden musste.

Der Individualismus greift um sich

Dass junge Menschen heute Gemeinschaft weniger suchen, merken die Studierendenheime auch an den nachgefragten Zimmern. Die Variante Doppelzimmer wird immer unbeliebter, ebenso die großen Gemeinschaftsküchen. Studierende möchten heute stärker als früher selbst entscheiden können, ob sie sich unter die Menge mischen oder alleine bleiben (siehe auch Artikel auf Seite 26).

Mehrbettzimmer und ein Bad am Gang sind für die meisten inzwischen undenkbar: Der Individualismus greift um sich. Neu gebaut werden umso öfter Kleingarçonnièren, also kleine Einheiten mit Bad und Küche. Der Schlafsaal mit Stockbetten ist Einheiten mit eigenem Bad und Kochnische gewichen. Heute bestimmt der junge Mensch, wann er Gemeinschaft braucht. Früher wurde er eher dazu gezwungen.

Zwanghafter Kontakt

ÖJAB-Bereichsleiter Angster hat dafür eine Erklärung: „Wir leben in einer reizüberfluteten Welt.“ Social Media und Messenger-Dienste würden uns dazu zwingen, permanent mit Menschen in Kontakt zu sein. „Viele freuen sich, wenn sie sich dann zurückziehen können.“

Für Menschen, die sich nicht so leichttun, Freunde zu finden, sei das allerdings schwierig. Durch den verringerten Kontakt während der Pandemie hätten viele heute mit zwischenmenschlichen Interaktionen größere Probleme als noch vor fünf oder sechs Jahren, sagt Angster. „Viele Studierende, die bei uns einziehen, sind neu in der Stadt und kennen noch kaum jemanden. Es ist unsere Aufgabe, dass wir die jungen Menschen in dieser besonderen Lebenssituation unterstützen.“

In diesem Jahr wolle man besonders viele Events anbieten, um so möglichst viele anzusprechen. Und darüber hinaus setzt man weiterhin auf große Gemeinschaftsbereiche: vom Sportraum bis zur Gemeinschafts­küche.

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