Gastkommentar

Israel und der Vatikan: Diplomatie ohne Empathie?

Peter Kufner
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Die vatikanische Friedensdiplomatie folgt dem Prinzip der Neutralität. Aber manchmal hört Neutralität auf, neutral zu sein.

Israel ist irritiert über die vatikanischen Stellungnahmen zum Terror der Hamas am 7. Oktober. Zunächst hatte der Botschafter Israels am Heiligen Stuhl, Raphael Schutz, „Zweideutigkeiten“ bemängelt und vom Papst eine klare Positionierung gefordert. Nun hat am Montag der israelische Außenminister, Eli Cohen, gegenüber seinem vatikanischen Amtskollegen, Paul Gallagher, nachgelegt und eine „klare und unzweideutige Verurteilung der mörderischen Terrorakte der Hamas-Terroristen erwartet, die Frauen, Kinder und alte Menschen allein deshalb umgebracht haben, weil sie Juden und Israelis waren“.

Der Papst bleibt zu allgemein

In der Tat gibt es blinde Flecken in den ersten Reaktionen des Vatikans. Zwar wurde das Recht auf Selbstverteidigung Israels zugestanden, aber sofort der Fokus auf die bedrohte Zivilbevölkerung im Gazastreifen gelegt. Im Augenblick des Terrors eine Sichtweise ein­zunehmen, die beiden Seiten gerecht werden will, kann allerdings riskant sein. Die vatikanische Friedensdiplomatie folgt üblicherweise dem Prinzip der Neutralität, um Kommunikationskanäle offen halten und zwischen den Streitparteien vermitteln zu können. Aber es gibt Situationen, in denen Neutralität aufhört, neutral zu sein.

Wer darauf verzichtet, angesichts eines beispiellosen Massakers den Aggressor klar beim Namen zu nennen, verhöhnt die Opfer ein weiteres Mal. Auch verspielt er die moralische Autorität, im ­weiteren Konfliktverlauf beratend einzuwirken. Gerade die Verbündeten Israels befürchten, dass die militärische Vergeltung nun völkerrechtliche Standards verletzen könnte. Die martialische Rhetorik des israelischen Verteidigungsministers, Yoav Gallant, man werde nun gegen „menschliche Tiere“ kämpfen, lässt nichts Gutes erwarten.

Die Dissonanzen zwischen ­Israel und dem Heiligen Stuhl dürften nicht im Sinne von Papst Franziskus sein, dem an einem freundschaftlichen Verhältnis zum Judentum gelegen ist. Wiederholt hat er Mord im Namen Gottes als Blasphemie verurteilt. Aber seine Mahnung, Terror und Krieg seien immer eine Niederlage für die Menschen, und sein Aufruf zu Friedensgebeten waren aus israelischer Sicht zu allgemein gehalten und haben den Verdacht einer gewissen Empathielosigkeit mit den ermordeten Juden befördert.

Empathie mit Palästinensern

Hinzu kommt, dass Papst Franziskus mehrfach katholische Priester in Betlehem und Gaza angerufen hat, um sich über die Lage der Palästinenser zu informieren. Diese Telefonate wurden von den kirchlichen Medien als kleine Sensationen verbreitet. Das ist gut. Denn die verunsicherte Bevölkerung in Gaza – nicht nur die Christen – braucht geistlichen Beistand und moralische Unterstützung. Das ist zugleich tüchtig einseitig. Denn der Papst scheint nicht bedacht zu haben, wie sein waches Interesse für die Palästinenser auf Juden wirkt, die über die potenzierten Gräuel der Hamas zutiefst verstört sind. Warum ruft der Pontifex nicht zugleich eine jüdische Familie an, die bei den Massakern Angehörige verloren hat oder darum bangen muss, dass Familienmitglieder, die als Geisel entführt wurden, kaltblütig enthauptet werden?

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Die päpstliche Empathie mit den Palästinensern liegt auf der Linie der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, die die Solidarität mit den Armen und Unterdrückten einfordert und das biblische Exodus-Narrativ von der Befreiung Israels aus dem Sklavenhaus Ägypten auf heutige Situationen von Unrecht und Unterdrückung bezieht. Dabei wird allerdings ausgeblendet, dass die Hamas seit 2007 ein Regime etabliert hat, das grundlegende Rechte wie Religions- und Gewissensfreiheit, Presse- und Versammlungsfreiheit kassiert hat. Die in linken Kreisen teils verbreitete Rede von der „Apartheid-Politik“ macht auf Defizite im Umgang mit den Palästinensern aufmerksam, übergeht aber vielleicht doch, dass die Hamas, die Hisbollah und ähnliche Organisationen nichts weniger als die Vernichtung des „zionistischen Staates Israels“ anzielen.

In Artikel 7 der Gründungscharta der Hamas von 1988 wird ein Hadith zitiert: „Die Stunde wird kommen, da die Muslime gegen die Juden solange kämpfen und sie töten, bis sich die Juden hinter Steinen und Bäumen verstecken. Doch die Bäume und Steine werden sprechen: ‚O Muslim, o Diener Allahs, hier ist ein Jude, der sich hinter mir versteckt. Komm und töte ihn!‘“ Diesen Hadith, der von der Mehrheit der Islam-Gelehrten nicht als authentisch anerkannt wird, haben die Jihadisten nun umgesetzt und alle Lügen gestraft, die durch mehr Handel und ökonomischen Austausch die Hamas entradikalisieren wollten. Der arabische Islamismus stellt die Existenz des Staates Israel schon seit Jahrzehnten infrage. Man will das Territorium zurückerobern, das einst islamisch war. Man ist allerdings bereits im Sechstagekrieg 1967 und im Jom-Kippur-Krieg 1973 militärisch gescheitert.

Die Gründung des Staates Israel steht historisch in Zusammenhang mit der NS-Judenvernichtungspolitik. Eine Theologie, die Auschwitz als Zäsur ernst nimmt und sich der Erinnerungssolidarität mit den jüdischen Opfern verpflichtet weiß, wird dies nie vergessen. Israel ist für Juden aus allen Ländern der Welt zum Zufluchtsort geworden, um dem inzwischen auch in Europa wieder grassierenden Antisemitismus zu entfliehen. Wer nun den Terror der Hamas, der auf die Auslöschung des Staates Israels abzielt, als „Befreiungskampf“ eines unterdrückten Volkes milde beurteilt oder gar rechtfertigt, verharmlost den genozidalen Hass, der hinter dem Treiben islamistischer Terror-Organisationen steht, die nicht selten auch Hitler glorifizieren.

Dissens in zwei Fragen

Zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Israel gibt es seit 1993 diplomatische Beziehungen. Die Beziehungen gelten als verlässlich und belastbar, auch wenn es in zwei Fragen Dissens gibt: Der Heilige Stuhl tritt für eine Zweistaatenlösung ein, um den Palästina-Konflikt zu befrieden. Zugleich votiert er dafür, Jerusalem unter internationaler Aufsicht einen besonderen Status zu verleihen, um Juden, Christen und Muslimen einen friedlichen Zugang zu den heiligen Stätten zu garantieren. Israel, das wegen seiner Besatzungs- und Siedlungspolitik in der Kritik steht, schließt sich dem nicht an und muss daher andere Wege der Konfliktentschärfung finden.

Der lateinische Patriarch von Jerusalem, Pierbattista Pizzaballa, hat bereits vor dem 7. Oktober vor einer Eskalation der Gewalt gewarnt. Ende September hat Papst Franziskus ihn zum Kardinal kreiert, um die Position der katholischen Kirche im Heiligen Land zu stärken. Unmittelbar nach dem Massaker hat Pizzaballa öffentlich nicht deutlich zwischen Aggressor und Opfern unterschieden, sich dann entschuldigt und klare Worte gefunden. Jetzt hat er zu weltweiten Gebeten aufgerufen und sich selbst der Hamas als Austausch-Geisel angeboten, um jüdische Geiseln freizubekommen. Was das rote Kardinalbirett anzeigt – bis zum Vergießen des eigenen Blutes für den Frieden des Volkes Gottes einzutreten –, das hat der Patriarch nun in die Waagschale geworfen.

Was für ein Zeichen der Verbundenheit!

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Privat

Der Autor

Jan-Heiner Tück (*1967 in Emmerich, Deutschland) ist Professor am Institut für Systematische Theologie und Ethik der Universität Wien. Zuletzt erschienen: „Gelobt seist du, Niemand. Paul Celans Dichtung – eine theologische Provokation“, 3. Aufl. 2023 (Herder).

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