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Wagenknecht wagt populistisches Experiment

Sahra Wagenknecht will eine eigene Partei gründen.
Sahra Wagenknecht will eine eigene Partei gründen.APA/AFP/John Macdougall
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Linke Galionsfigur gründet eine neue Partei – und stürzt damit ihre alte Fraktion in den Abgrund.

Als Sahra Wagenkecht am Montag in Berlin mit Mitstreitern vor die Presse trat und ihren Rücktritt aus der Linkspartei verkündete, war das keine Überraschung, sondern der vorläufige Höhepunkt einer Entfremdung. Seit Jahren schon haben die Linkspartei und ihr bekanntestes Gesicht auf offener Bühne Gehässigkeiten ausgetauscht und Richtungsstreitigkeiten ausgefochten. Und fast genauso lang schon wurde spekuliert, dass Wagenknecht insgeheim die Gründung einer eigenen Partei vorschwebt. Am Montag nun hat Wagenknecht publik gemacht, was seit der Vorwoche ohnehin kein Geheimnis mehr war, nämlich, dass der neulich eingetragene Verein Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) die Gründung einer neuen Partei vorbereitet, die erstmals bei den Europawahlen 2024 kandidieren wird.

Die Links-rechts-Kombo

Wagenknechts politisches Rezept ist bekannt. Die 54-Jährige mischt linke Sozialpolitik mit rechter Gesellschafts- und Innenpolitik. Oder anders: Sie schielt auf alle, die zwar mehr Sozialstaat wollen, aber nicht mehr Zuwanderung, nicht mehr Klimapolitik und nicht mehr Genderpolitik. Wagenknecht trug am Montag dick auf, um die Parteigründung zu rechtfertigen. Diese sei notwendig, um eine politische Umkehr einzuleiten: „Sonst werden wir unser Land in zehn Jahren wahrscheinlich nicht mehr erkennen.“ Die Ampelkoalition punzierte sie „als wohl schlechteste Regierung“ in der Geschichte der Bundesrepublik. Deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine lehnte sie energisch ab, genauso wie die Ampelklimapolitik: „Wir müssen wegkommen von einem blinden, planlosen Ökoaktivismus.“ Sahra Wa­genknecht prangerte zugleich die Diskussionskultur im Land an. Das Zuwanderungsthema erwähnte sie zwar erst auf Nachfrage. Aber mehr war auch nicht nötig. Jeder weiß, wo sie steht, nämlich weit rechts der Linkspartei.

Sozialpolitisch aber blinkt die 54-Jährige links. Sie verlangt, dass der Mindestlohn angehoben wird, und beklagt, dass das Geld angeblich von „den Fleißigen zu den oberen 10.000“ wandere und dass Deutschlands Rentenniveau zu den „schlechtesten Europas“ zählt. Österreichische Pensionisten, sagt sie, hätten im Schnitt 800 Euro mehr zur Verfügung.

Großes Wählerpotenzial

Jüngste Umfragen bescheinigen einer Wagenknecht-Partei ein Wählerpotenzial von 20 bis 27 Prozent. Aber diese Zahlen sind mit großer Vorsicht zu genießen, zumal die Partei noch nicht einmal gegründet ist. Einige Beobachter haben außerdem Zweifel, dass die redegewandte Talkshowkönigin auch eine Partei organisieren kann. Ihre 2017 gegründete Bewegung Aufstehen wurde jedenfalls zum Rohrkrepierer. Wagenknecht gilt darüber hinaus als One-Woman-Show.

Vielleicht auch deshalb setzte sie sich am Montag als Teamspielerin in Szene und scharte ein paar Mitstreiter um sich, darunter Noch-Linke-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali (sie führt offiziell den Verein BSW). Insgesamt zehn Abgeordnete der Linkspartei sind Teil des Teams. Auf dem Podium saß auch Ralph Suikat, ein Millionär und Ex-IT-Unternehmer, der mit einer Kampagne für Vermögensteuern aufgefallen ist („taxmenow“). Ganz sicher kann Wagenknecht auch auf die Unterstützung ihres Ehemanns, Oskar Lafontaine, bauen. Das Paar hat jetzt eine Gemeinsamkeit mehr: Auch Lafontaine hat einst, 2005, seiner Partei (der SPD) den Rücken zugekehrt, um ihr dann mit einer Konkurrenzpartei Stimmen abzujagen.

Das Wählerpotenzial dürfte ungeachtet aller Unwägbarkeiten groß sein, auch im Osten Deutschlands, wo die Linke einst den Status einer Volkspartei hatte, aber an die AfD verloren hat. „Sahra“, wie die im Habitus eigentlich eher unnahbar wirkende Politikerin von ihren Fans genannt wird, könnte nun nicht nur dort den Aufstieg der AfD bremsen. Wagenknecht will ihr Projekt jedenfalls auch als Alternative zur Alternative für Deutschland (AfD) verstanden wissen. Ihre Partei solle eine „seriöse Adresse“ für all jene sein, die zwar nicht rechts sind, aber aus „Wut und Verzweiflung“ die Rechtspartei wählen.

Linke verlöre Fraktionsstatus

Aber natürlich schubst Wagenknecht auch ihre eigene Partei, Die Linke, näher in Richtung Abgrund und deren Fraktion sogar in den Abgrund. Die Linke dürfte wegen der zehn Abtrünnigen den Fraktionsstatus verlieren. Und zwar spätestens im Jänner. Wagenknecht und Co. haben angeboten, bis dahin übergangsweise Fraktionsmitglieder zu bleiben. Aber danach verlöre die Linke viel Geld und auch Jobs. An Sozialplänen wird schon gefeilt. Das kommt auch nicht alle Tage vor: dass eine Linkenpolitikerin absichtsvoll einen Schritt setzt, der Kündigungen auslöst. Ein Kollateralschaden.

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