Die Ich-Pleite

Sitzen ist in jeder Hinsicht positiv

Carolina Frank
  • Drucken

Jahrtausendelang galt Sitzen als etwas Gutes. Im Gegensatz etwa zu Hinter-einem-Pflug-Hergehen oder Am-Pranger-Stehen.

Wer sein Leben ­sitzend verbringen konnte, in einer Sänfte, auf einem Thron oder auch nur stickend im Salon, hatte es geschafft. Auch im 20. Jahrhundert wusste noch jedes Kind: Wer fleißig bei den Hausübungen sitzt und später im Hörsaal, hat gute Chancen, auch sein weiteres Leben sitzend zu verbringen, im Büro, in der Kanzlei, im Vorstandsmeeting oder jemandem Wichtigen auf dem Schoß, statt ­stehend im Geschäft oder gebeugt über einem Schweißapparat. Im Sitzen schwitzt man immerhin weniger und verdient mehr. Das Sitzen ist also in jeder Hinsicht positiv. Die einzige Ausnahme war das Sitzenbleiben. Wobei es berühmte Beispiele dafür gibt, dass selbst als Sitzenbleiber noch etwas aus einem werden kann (Niki Lauda, Kim Jong-un, Winston Churchill).

Frauen bleiben übrigens weniger oft sitzen. Man kann sich selbst zusammen­reimen, welches Licht das auf die Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern wirft. Das Sitzenbleiben wurde inzwischen allerdings fast abgeschafft. Da liegt die Schule ganz im Trend. Denn seit ein paar Jahren verliert das Sitzen immer mehr an Image. Manche nenne es sogar „das neue Rauchen“. Also etwas, das einen noch früher ins Liegen zwingt. Wer mehr als neuneinhalb Stunden am Tag sitzt (und das trifft auf mehr als die Hälfte aller erwachsenen Menschen zu), wird auch noch früher dement. Ausgleichender Sport und gesunde Ernährung können daran angeblich nicht viel ändern. Aber ein besseres Einkommen kann etwas daran ändern. Denn wer mehr verdient, lebt auch länger, sagt die Statistik. Blöd ist leider nur: Im Sitzen verdient man immer noch mehr. (Die Presse Schaufenster, 20.10.2023)

Weiterlesen

Mehr Kolumnen auf DiePresse.com/ichpleite

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.