Literatur

Der neue Handke: Homer auf den Fersen

Veröffentlichte seit dem Nobelpreis 2019 schon ein halbes Dutzend Bücher: Peter Handke, geboren 1942 in Griffen, Kärnten.
Veröffentlichte seit dem Nobelpreis 2019 schon ein halbes Dutzend Bücher: Peter Handke, geboren 1942 in Griffen, Kärnten. Foto: Skata/Imago
  • Drucken

Von einem, der aus der Ferne in eine zur Vorstadt gewordene Gegend heimkehrt und alles vertraut und fremd zugleich vorfindet, erzählt Peter Handke in „Die Ballade des letzten Gastes“. Voll von Verweisen ist das Buch ein Fest für Exegeten.

Wahrscheinlich ist Peter Handke der fleißigste lebende Weltliterat. Er webt und webt an seinen Texten wie Penelope an ihrem täuschenden Tuch. Allein seit 2019, als er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, hat Handke ein halbes Dutzend neuer Werke veröffentlicht. Dramen, Poesie, Tagebuchaufzeichnungen, Prosa. Schon ist das nächste da: „Die Ballade des letzten Gastes“.

Hat dieser in Frankreich und anderswo verwurzelte Dichter tatsächlich ein ans okzitanische Tanzlied erinnerndes Gedicht mit epischem Charakter verfasst? Verfällt der Kärntner Troubadour, der andernorts den elastischen Jauntaler Gang besungen hat, im reifen Alter von mehr als 80 Jahren noch einmal in ausgelassenes lyrisches Gehüpfe? Man sollte sich davor hüten, diesen Dichter in eingezäunte literarische Gattungen zu sperren. Sein neues Buch ist eine Erzählung, die vor allem am Ende wie in freie Verse gegossen wirkt. Durchzogen ist der Wortfluss von Reflexionen und Sprachspielereien, vom Hang zum dramatischen Pathos. Dann und wann, sozusagen als Nachreichung, erhält man Parerga und Paralipomena. Sogar ein wenig Handlung kommt vor.

In der alten Bettkammer

Worum geht es? Ein Mann namens Gregor (griechisch: der Wachsame, so hieß Handkes Patenonkel, so nannte er des Öfteren fiktive Figuren), kehrt wieder einmal heim zu den Seinen, irgendwo am Rande einer anonymen Metropole. Die Eltern sind dort, und die Schwester. Sie hat ein Baby bekommen. Gregor soll der Pate dieses Buben werden. Allein der viel jüngere Bruder, Hans, fehlt, an den er sich anfangs intensiv erinnert, an frühe Zeiten und spätere Treffen. Die Mitglieder dieser Familie bleiben diffus. Randerscheinungen. Alles Mögliche kann man in sie reinlesen. Ein schönes Element ist der gemeinschaftliche Gesang. Nur zu Beginn übernachtet Gregor im Elternhaus, in seiner alten Bettkammer. Dann beginnt er, als wäre er auf der Flucht, in der einst vertrauten und auch schon wieder fremden Umgebung herumzustreunen, erst noch im eigenen Terrain. Dazu ein für Handkes Prosa typischer Satz: „Wie alljährlich an dem auf seine Ankunft folgenden Tag machte er sich auf den Weg zu dem längst kaum mehr gepflegten, jedesmal noch um einige Grade, und das hieß, um den einen oder anderen Baum verkümmerten Obstgarten der Familie, einstmals ein allseits von freiem Feld umgebenes, so lichtes wie luftiges Gehege, inzwischen umstellt oder auch – Abstand gewahrt – gesäumt von eher bescheidenen, meist ebenerdigen Industrieanlagen und Gewerbebetrieben.“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.