Leitartikel

Die Union der europäischen Zauberlehrlinge

Ursula von der Leyen und Charles Michel
Ursula von der Leyen und Charles Michel APA / AFP / Kenzo Tribouillard
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Die Kriege in der Ukraine und in Nahost demaskieren die „geopolitische EU“. Ohne die USA sind die Europäer hilflos – und in existenzieller Not.

Ein wenig Dichtkunst gefällig? „Seine Wort’ und Werke / Merkt ich und den Brauch / Und mit Geistesstärke / Tu ich Wunder auch.“ So lässt Goethe seinen Zauberlehrling danach begehren, in Abwesenheit des alten Hexenmeisters die Besen endlich einmal nach seinem eigenen Willen tanzen zu lassen. Wie das im Reich der Poetik ausgeht, weiß vermutlich jeder Maturant. Auch in der Europäischen Union muten Zauberlehrlinge sich zu, den alten Meister in die Schranken zu weisen. Womit die USA gemeint wären. Ursula von der Leyen versprach vor vier Jahren, eine „geopolitische Kommission“ als Präsidentin anzuführen. Zwei Wochen nach dem Überfall der russischen Truppen auf die Ukraine gelobten die Staats- und Regierungschefs der EU im März vorigen Jahres in Versailles, „mehr Verantwortung für unsere Sicherheit zu übernehmen und weitere entscheidende Schritte zum Aufbau unserer europäischen Souveränität zu unternehmen“.

Hehre Worte. Die Realität sieht anders aus. Wie schon während der jugoslawischen Zerfallskriege in den 1990er-Jahren zeigt sich: Die europäischen Zauberlehrlinge mögen „die Stunde Europas“ gekommen sehen. Doch sie sind unfähig, ihrem eigenen Anspruch als weltpolitisch wirkmächtige Akteure gerecht zu werden. Sie sind unfähig, sich auf eine Doktrin zu einigen, kraft welcher Europa auf der Weltbühne seine Interessen und Werte verteidigt. Sie drücken sich davor, militärische Ressourcen aufzubauen, die erst jene Glaubwürdigkeit schaffen, um Frieden zu schaffen. Und sie gaukeln sich und ihren Bürgern noch immer vor, dass man mit priesterhaften Appellen an den Respekt des Völkerrechts die Waffen zum Schweigen bringen kann. Zwischen gut zureden und oberlehrerhaft mit dem Zeigefinger wackeln liegt die Bandbreite der diplomatischen Werkzeuge der EU. Erfolg hat sie damit nicht.

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