ÖVP

„Bürgerliche Parteien sind oft denkfaul“

Ein neues Buch der Politischen Akademie der Volkspartei widmet sich der Frage nach Bürgerlichkeit in Politik und Gesellschaft.

Wien. Monate nach der teils flach geführten „Normal“-Debatte der ÖVP erfährt diese eine Art intellektuellen Weiterdrehs, und zwar auf 440 Seiten. Diesmal wird nicht gefragt, was heute noch „normal“ oder der „Mitte“ zugehörig ist, die Politische Akademie der ÖVP widmet sich vielmehr der Frage nach dem Bürgerlichen in der heutigen Zeit.

„Bürgerliche Impulse“ heißt das Buch, das Bettina Rausch, Chefin der ÖVP-Akademie, mit dem Soziologen Manfred Prisching herausgibt. Und solche Impulse könnten bürgerliche und konservative Parteien auch gut brauchen, da sie europaweit um ihre Positionierung ringen. Konkrete Handlungsanleitungen und Empfehlungen für die politische Praxis finden sich darin weniger, eher versucht das Buch, die Bürgerlichkeit, ihre Tugenden und Werte zu verorten.

Dass es aber nicht einfach ist, den Allerweltsbegriff in der zeitgenössischen Politik zu konkretisieren, geht schon aus dem Einstiegstext Prischings hervor. Mit dem Begriff des Bürgertums sei „in einer hochgradig fragmentierten und pluralisierten westlichen Gegenwartsgesellschaft in der Tat nicht viel anzufangen“ – daher wird auf die Bürgerlichkeit selbst fokussiert. Doch habe auch die Bürgerlichkeit „ihre Konturen verloren, sie hat sich in verschiedene Lifestyles aufgelöst und lässt sich dort bloß in unterschiedlichen Einzelelementen wiederfinden“.

Eigentum und Leistung

Was könnte die Bürgerlichkeit also noch ausmachen? Laut Prisching die „Welt von Eigentum und Marktwirtschaft“, es gehe um „Leistung statt Herkunft, Erwerb statt Erbschaft“, die in der „Mitte“ zu findende bürgerliche Perspektive sei „selbstdisziplinert und leistungsfreundlich“. Sohin sei das Bürgerliche nicht „das ständige Nörgeln und die Maximierung von Staatstransfers“ oder „das Prinzip, dass der Staat für alle Lebensrisiken zuständig ist und sie kompensieren muss“. Bürgerlich sei etwa „ein starker, aber zurückhaltender Staat“.

Hernach folgen Beiträge von Granden aus ÖVP und Wissenschaft, von Altkanzler Wolfgang Schüssel über die Landeshauptleute Christopher Drexler und Wilfried Haslauer bis hin zu Wirtschaftskammer-Boss Harald Mahrer. Letzterer definiert das Bürgerliche anhand von Innovationskraft. Einige Autoren kommen mangels griffiger Definition zeitgenössischer Bürgerlichkeit nicht ohne Plattitüden aus. Vieles bleibt vage.

„Bürgerliche oder eher konservativ ausgerichtete Parteien sind oft denkfaul. Sie tragen kein in Stein gemeißeltes Programm wie eine Monstranz vor sich her“, schreibt der deutsche Journalist und CDU-Kommunalpolitiker Ansgar Lange in seinem Beitrag. Er schildert darin seine Sicht auf das bürgerliche Lager in Deutschland. Bei der CDU vermisst Lange Profil und Schärfe.

Schärfere Linie gegen Grüne

Sympathie für CDU-Chef Friedrich Merz, der die Partei nach der „bleiernen Merkel-Zeit“ übernommen habe, lässt Lange zwar durchscheinen. Doch sei „der Markenkern der CDU für viele noch nicht richtig erkennbar“.

Von einem „stärkeren bürgerlichen Profil der CDU“ unter Merz sei „(noch) nicht so viel zu spüren“: „Denn während ihm mit dem Bierdeckel, auf den eine Steuererklärung passen sollte, einst ein sehr einprägsames Bild für seine Finanz- und Wirtschaftspolitik gelang, ist ihm dies seit 2021 noch nicht wieder gelungen.“

So müsste eine CDU „mit neuem bürgerlichem Profil gegen die linke Identitätspolitik zu Felde ziehen“. Auch müsste sie „aufhören, daran zu glauben, dass mit den Grünen bürgerliche Bündnisse möglich sind“. Als „bürgerliche Kraft der Mitte“ müsse die CDU, „die gleichzeitig von linker Identitätspolitik und einem erstarkten Rechtspopulismus in die Zange genommen wird“, das „Land wie eine Klammer zusammenhalten“.

Mit letzterer Forderung kann sich Rausch von der Politischen Akademie anfreunden: „In stürmischen Zeiten der Polykrise“ würden „bürgerliche Parteien der Mitte ein demokratisches Gegenmodell zu den autoritären Lebensmodellen vom linken und rechten Rand repräsentieren und das politische System stabilisieren“. (dab/kk)

Bettina Rausch-Amon, Manfred Prisching
 (Hrsg.)

Bürgerliche Impulse

edition noir, Wien

24 Euro

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.