Jubiläum

CD-Wettlauf: Bruckner startet rechtzeitig durch

Erstmals nahmen die Wiener Philharmoniker alle Bruckner-Symphonien unter der Leitung eines einzigen Dirigenten auf.
Erstmals nahmen die Wiener Philharmoniker alle Bruckner-Symphonien unter der Leitung eines einzigen Dirigenten auf.APA / ORF / Roman Zach-kiesling
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Zum 200. Geburtstag von Anton Brucker 2024 sollen mehrere Aufnahmeserien der – je nach Zählung – neun, zehn oder elf Symphonien vorliegen. Schon im Ziel: Thielemann, Ballot und Nelsons.

Die Bruckner-Symphonien gehören hierzulande zum großen Kanon. Oder besser: einige der Symphonien. Die ersten beiden und die Sechste spielt man kaum. Und jenseits des deutschen Sprachraums gehören Bruckner-Aufführungen nach wie vor zu den Raritäten. Abgesehen von der Linzer Musikergemeinschaft, die den Komponisten als Namenspatron gewählt hat, sind aber auch die österreichischen Orchester zurückhaltend geblieben, was Bruckner-Aufnahmen betrifft.

Erst dieser Tage, im Vorfeld des 200. Geburtstags des Komponisten, brachten die Wiener Philharmoniker (bei Sony) eine CD-Box heraus, die nicht nur alle neun nummerierten Symphonien enthält, sondern auch die beiden von Bruckner selbst ausgeschiedenen frühen Werke – und, man glaubt es kaum, es ist das erste Mal, dass ein einzelner Dirigent alle diese Aufnahmen betreut hat.

Linz kennt wirklich alle Symphonien

Zum Bruckner-Jubiläum in den 1970er-Jahren ist zwar eine philharmonische Bruckner-Box erschienen, doch da hatten verschiedene Maestri die Aufgabe untereinander aufgeteilt. Mittlerweile ist die Lage aber noch viel verworrener geworden. Die Tatsache, dass die bei Sony erschienene neue Edition unter der Leitung von Christian Thielemann elf Symphonien hören lässt, spiegelt nicht die ganze Bruckner-Wahrheit. Rechnet man nämlich ein, wie oft Bruckner manche Werke „umkomponiert“ hat, kommt man auf 16 bis 18 unterschiedliche Werke.

Hier schafft der Linzer Chefdirigent Markus Poschner Abhilfe. Er spielt für das Label Capriccio mit seinem Bruckner-Orchester und dem RSO Wien sämtliche Symphonien in sämtlichen Fassungen ein. Und er kann, das beweist die jüngste Neuerscheinung, die Fünfte, auch mit exzellenten historischen Vorbildern mithalten. Dass das bei Thielemann und den Philharmonikern grundsätzlich der Fall ist, weiß man von den Konzerten, die man im Wiener Musikverein oder im Salzburger Festspielhaus erleben durfte. Dem atemberaubenden Live-Mitschnitt der Neunten etwa ist ein Spitzenplatz in der Bruckner-Bestenliste sicher.

Schwerer tut sich diesbezüglich die Konkurrenz. Zeitgleich ist auf DG eine Bruckner-Box (ohne die Studiensymphonie in f-Moll, aber mit der „Nullten“) in den Handel gekommen, ein Projekt des Leipziger Gewandhausorchesters unter Andris Nelsons, das den Komponisten direkt mit seinem Abgott Richard Wagner konfrontiert. Dank des satten, samtig-dunkeln Timbres dieses Orchesters mit seiner großen Bruckner-Tradition ist die Konfrontation der Symphonien mit Opernfragmenten nicht nur enzyklopädisch bemerkenswert. Doch kann, was Spannkraft und formale Übersicht betrifft, Nelsons gegen Thielemann nicht bestehen. Ähnliches gilt übrigens für die durchaus spannenden, eigensinnig in geradezu altmodisch breiten Tempi zelebrierten Bruckner-Aufnahmen, die Rémy Ballot mit dem Altomonte-Orchester St. Florian produziert (Gramola), sozusagen im Fokus des Kathedralenklangs und der legendären Orgelregisterzüge von Bruckners Instrumentation.

Wo bleiben Furtwänglers Orkane?

Ohnehin wird man bei den öfter gespielten Werken immer besondere historische Aufnahmen finden, die das meiste, was heute an Bruckner-Deutungen geboten wird, überragen. Man höre nur die ersten paar Minuten des Finalsatzes der Vierten unter Otto Klemperer. Sei es mit dem Philharmonia Orchestra (EMI) oder – trotz minderer technischer Qualität noch besser – die Aufnahme mit den Wiener Symphonikern (Vox). Es lässt begreifen, was an dramatisch packendem Zugriff und Deutungsmut verloren gegangen ist.

Ganz zu schweigen von Wilhelm Furtwänglers Berliner Bruckner-Aufnahmen, allen voran der Fünften und der – leider ohne den Kopfsatz überlieferten – Sechsten. Da registriert das Aufregungsbarometer oft orkanartige Aufwallungen, wie sie heutzutage auch im besten Fall nicht mehr gewagt werden. Dafür klingen die jüngeren Aufnahmen natürlich weitaus besser. Bruckner-Einsteiger haben die Qual der Wahl, sind aber fürs Jubiläumsjahr jedenfalls gerüstet.

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