Junge Forschung

Weniger soll wieder mehr sein

Die Wirtschaft braucht eine Betrachtungsweise mit ökologischen und sozialen Aspekten, sagt Corinna Dengler.
Die Wirtschaft braucht eine Betrachtungsweise mit ökologischen und sozialen Aspekten, sagt Corinna Dengler.Clemens Fabry
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Feministische Ökonomie und Ökologische Ökonomie sind die Spezialgebiete von
Corinna Dengler. Sie forscht an einer nachhaltigen und gerechten Wirtschaft für alle.

Ewiges Wachstum? Kein Baum ist so deppert! Mit diesem Spruch kritisieren Komiker das Streben der Wirtschaft nach immer mehr Wachstum. Längst hat sich auch in der Ökonomie ein Gegentrend entwickelt: Degrowth oder Post-Wachstum. Darunter versteht man eine Verringerung von Konsum und Produktion für mehr soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit.

Corinna Dengler ist seit Jahren von dem Forschungsfeld fasziniert, vor allem in Verbindung mit feministischer Kritik. „Ich komme aus keinem akademischen Elternhaus: Das Berufsbild Wissenschaftlerin war also nicht aufgelegt“, sagt Dengler, die aus der Nähe von Passau stammt und an der WU Wien Volkswirtschaftslehre sowie an der Uni Wien Internationale Entwicklung studiert hat. „Ich habe schon als Jugendliche hinterfragt, warum meine Oma, die acht Kinder großgezogen hat, keine Rente bekommt.“ Bis heute gibt es reichlich Ungerechtigkeiten, die stark mit unbezahlter Sorgearbeit zusammenhängen.

Wirtschaft muss Natur respektieren

Dengler absolvierte ihren Master an der WU in genau dem Bereich, in dem sie heute hier und an der Autonomen Universität Barcelona auch unterrichtet: in sozial-ökologischer Ökonomie. „Das geht über die Volkswirtschaftslehre hinaus. Die Grundannahmen heißen: Wirtschaft ist immer eingebettet in die Gesellschaft. Und die Gesellschaft ist immer eingebettet in die Natur.“ Der Ansatz musste sich in den Wirtschaftswissenschaften erst durchsetzen, doch heute blühen insbesondere in der heterodoxen Ökonomie die Forschungen zu sozial-ökologischer Transformation, Degrowth und einer Wirtschaft, die „unsere ökologischen und planetaren Belastungsgrenzen respektiert“. Natur und Gesellschaft sind eng verwoben: „Wir erkennen viele soziale Ungerechtigkeiten rund um die Klimakrise. Etwa dass die Leute, die am meisten Emissionen verursachen, selten die sind, die darunter am stärksten leiden.“

Ausbeutung der Natur und Geschlechterverhältnisse

Für ihre Masterarbeit ging Dengler ein halbes Jahr an die Anden-Universität Simón Bolívar in Quito, Ecuador. Spanisch konnte sie bereits fließend, weil sie gleich nach dem Abitur ein Jahr durch Lateinamerika gereist war und später, während des Studiums, ein mehrmonatiges Praktikum in Managua, Nicaragua, absolviert hatte. „In der Masterarbeit ging es um Extraktivismus: um den Raubbau an der Natur, wenn in großen Massen nicht erneuerbare Rohstoffe wie Öl und Lithium aus der Erde geholt werden.“ 2016 schrieb Dengler über die Abhängigkeit der Wirtschaft Ecuadors von Erdöl. „Im Master merkte ich, wie sehr mir wissenschaftliches Arbeiten Spaß macht. Dann bekam ich in Norddeutschland eine Doktoratsstelle an der Universität Vechta.“ Dort vertiefte sie die Betrachtung der Wirtschaftswissenschaften mit dem Feminismus. Sie habe zunehmend erkannt, „wie sehr die Ausbeutung der Natur auch sozial-ökologische Fragen aufwirft, die mit Geschlechterverhältnissen zusammenhängen“.

»Die Wirtschaft würde zusammenbrechen ohne die unbezahlte Sorge­arbeit, die großteils die Frauen übernehmen.«

Corinna Dengler

So wurde die Dissertation eine theoretisch-konzeptionelle Arbeit an den Schnittstellen von Feminismus und Degrowth. „Vieles hängt an der unbezahlten Sorgearbeit: Unsere Wirtschaft würde ohne sie zusammenbrechen. Der Gender-Care-Gap ist enorm, das heißt, es sind – insbesondere, wenn man den gesamten Lebensverlauf in den Blick nimmt – viel mehr Frauen, die unbezahlte Sorgearbeit leisten.“

Derzeit leitet Dengler an der WU auch empirische Studien zum Thema. „In einem Projekt für die GÖG, die Gesundheit Österreich GmbH, untersuchen wir positive Aspekte von Zeitwohlstand.“ Im Gegensatz zu Zeitnot, die Menschen krank macht und der Umwelt schadet (schnell mit dem Flieger statt mit dem Zug reisen), kann Zeitwohlstand die Gesundheit und den Klimaschutz fördern. „Es geht auch um die Verteilung von Zeit: Manche Menschen haben zu viel davon, etwa Geflüchtete, die auf ihre Arbeitserlaubnis warten. Armutsbetroffene Menschen haben oft zu wenig Zeit.“ Ausgleich findet Dengler beim gemeinsamen Kochen in der WG und in der Natur. Sie setzt sich auch gesellschaftspolitisch für feministische und ökologische Themen und Maßnahmen ein.

Zur Person

Corinna Dengler (34) ist Postdoc-Forscherin und Habilitandin am Institut für Multi-Level Governance und Entwicklung der WU Wien. Ihre Dissertation „Feminist Futures: Was Degrowth von feministischer Wissenschafts-, Wirtschafts- und Wachstumskritik lernt“ gewann an der Uni Vechta (D) 2021 den wissenschaftlichen Förderpreis.

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