Gastkommentar

Wer wird nächster EU-Kommissar?

Dass 2024 in der Brüsseler Kommission wieder ein ÖVP-Mitglied zum Zug kommt, ist keine ausgemachte Sache.

In Anlehnung an eine alte Fußballerweisheit, wonach 22 Mann einem Ball hinterherrennen und am Ende immer Deutschland gewinnt, lässt sich die Frage, wer denn den nächsten österreichischen EU-Kommissar ab 2024 stellen wird, eigentlich schnell beantwortet: die ÖVP. Zumindest war dies seit 1995 immer so – egal wer gerade stimmenstärkste Partei im Nationalrat ist, egal welche Partei gerade den Bundeskanzler stellt. Fischler, Ferrero-Waldner und Hahn – immer war die ÖVP am Zug. Und geht es nach dem aktuellen Sideletter der Bundesregierung, wird es auch diesmal so sein..

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Gemäß Artikel 23c B-VG erstellt die Bundesregierung den personellen Vorschlag. Mit dem Hauptausschuss des Nationalrates ist darüber Einvernehmen herzustellen. Und gerade diese Notwendigkeit könnte 2024 ein Problem darstellen.

Denn den zeitlichen Ablauf, wann die Nominierung der neuen Kommissare zu erfolgen hat, gibt der politische Kalender der EU vor: Nach der Wahl des Europaparlaments Anfang Juni wird zuerst der/die Kommissionspräsidentin im großen politischen Palaver vom Europäischen Rat nominiert und noch vor dem Sommer vom neuen Europaparlament gewählt. Ab dann haben die EU-Mitgliedsländer die Chance, auszuloten, wer ins Team der neuen (und wohl auch alten) EU-Kommissionspräsidentin passt.

Nach dieser informellen Phase sollte, wenn alles nach Plan läuft, der österreichische Kandidat wohl irgendwann im September 2024 seine Zustimmung durch den Hauptausschuss des Nationalrates erhalten und die offizielle Nominierung erfolgen.

Der Sündenfall von 2019

Ob dies alles diesmal auch so glatt ablaufen wird, ist jedoch fraglich. Denn spätestens Ende September 2024 findet die nächste Nationalratswahl statt. Und ob wenige Tage vor dem Wahltermin die politischen Mitbewerber der ÖVP die Mehrheit im Nationalrat verschaffen werden, ist mehr als fraglich. Niemand wird den Sündenfall von 2019, als eine entscheidungsschwache Expertenregierung unter Brigitte Bierlein den amtierenden EU-Kommissar Johannes Hahn einfach für eine dritte Amtszeit nominierte, wiederholen wollen. Damals haben alle Parteien das einfach abgenickt. Wohl auch in der Hoffnung, mit dem kommenden Wahlsieger Sebastian Kurz eine Koalition bilden zu können. 2024 aber wird der Wahlsieger kaum ÖVP lauten.

Zerplatzter Traum?

Sollte die Nationalratswahl gar noch vorverlegt werden, verbessert das die Ausgangslage für den künftigen österreichischen EU-Kommissar keineswegs. Dann würde nämlich die Situation eintreten, dass zwar wohl noch die alte Schwarz-Grüne Koalition im Amt wäre und den Brüsseler Terminvorgaben nach einen Kandidaten nominieren müsste – diese Bundesregierung jedoch über keinerlei Mehrheit im neu gewählten Nationalrat mehr verfügen würde. Dass unter diesen Vorgaben und angesichts erst anlaufender Koalitionsverhandlungen sich eine Mehrheit im Hauptausschuss für einen ÖVP-Kandidaten finden könnte, ist äußerst unwahrscheinlich.

Wer wird nun nächster EU-Kommissar? Die Auswahl an qualifizierten Persönlichkeiten ist angesichts der sich abzeichnenden innenpolitischen Pattstellung nicht so groß. Haben es die Oppositionsparteien doch beharrlich verabsäumt, Kandidaten aufzubauen. Der von Regierungsseite wohl logischen Kandidatin Karoline Edtstadler droht jedenfalls ein Schicksal wie vor fünf Jahren: Der Traum von Brüssel zerplatzt auf den letzten Metern.

Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und int. Beziehungen. Langjährige Tätigkeit im EU-Ratssekretariat in Brüssel. Aktuell tätig in Lehre und Forschung sowie als politischer Berater und Gutachter.

E-Mails an: diepresse@debatte.com

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