Musik

Hymnen auf den Zusammenhalt: Von „We Are Family“ bis „Hauptsach is, wir san beinand“

Selbst die Rolling Stones priesen den Chorgesang.
Selbst die Rolling Stones priesen den Chorgesang.Imago / Gonzales Photo/peter Troest
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„Let’s Stick Together“, „Let’s Stay Together“, „Come Together“: Die Popgeschichte ist
voller Hymnen auf den Zusammenhalt. Der stets ein Motiv des Musizierens war.

Woher kommt die Musik? Wozu diente sie ursprünglich? Für die Antworten auf diese Fragen gibt es hauptsächlich zwei Theorien. Die erste baut auf die sexuelle Selektion: Wer besser, eingängiger, eleganter, mitreißender, verführerischer musiziert, hat einen Vorteil in der Partnerwahl – und bekommt mehr Kinder. So wurden die Menschen im Lauf der Evolution immer musikalischer.

Die zweite Erklärung sieht die Musik als Bindemittel für den sozialen Zusammenhalt: Gruppen, die miteinander musizieren, verstärken ihre Bindung, was sie in Konkurrenz zu anderen Gruppen erfolgreicher macht. Sie synchronisieren ihre Rhythmen, harmonisieren ihre Harmonien, spielen und singen ihre Melodien unisono – oder als Gespräch, etwa in Form von Fragen und Antworten. In einem Konzert wetteifert (lateinisch concertare) man gemeinsam – ein schönes Paradoxon –, so ist ein Solokonzert wörtlich gesehen ein Unding. Wenn man nicht bedenkt, dass ja auch das Publikum eingebunden ist.

Brüderchöre und alle Schwestern

Es wundert nicht, dass diese einende Wirkung der Musik auch in Texten gelobt wird: Nicht nur in der österreichischen Hymne hört man Brüderchöre, die in Geschwisterchöre umzudichten das Versmaß verbot, weswegen sie seit 2012 als Jubelchöre erklingen. Auch in der lettischen Hymne singen nur die Söhne (während die Töchter blühen), und in der belgischen „Brabançonne“ heißt es: „Fortan singen deine Söhne.“ Anders gegendert ist etwa „We Are Family“ vom US-Soul-Duo Sister Sledge: Im Refrain „We are family, I got all my sisters with me“ müssen sich die Brüder mitdenken, damit es auch für sie heißt: „Get up everybody and sing!“

Die Idee der Gemeinschaft, der „togetherness“ in der Musik und durch die Musik durchzieht den Soul besonders. Das hat auch mit seinen Wurzeln im Gospel zu tun. Das Gotteslob im Gesang ist eine kollektive Angelegenheit, auch in den angeblich so individualistischen evangelischen Kirchen: Die Gemeinde festigt sich beim Singen.

Im Zug der Umdeutung von Spiritualität auf weltliche Erotik, die im Übergang von Gospel zu Soul stattfand, wurde das Lob des Zusammenhalts neu interpretiert. „Let’s stay together“, sang der ehemalige Gospelsänger Al Green 1972 – und meinte damit eine Geliebte. Zwei Jahre später lehnte er den Heiratsantrag einer (anderen?) Freundin ab, worauf sie sich erschoss. Davon tief getroffen, gründete Al Green die Church of the Full Gospel Tabernacle in Memphis, wo er fortan predigte.

Eine Ode an die eheliche Treue ist „Let’s Stick Together“, ein R’n’B-Song aus dem Jahr 1962, der 1976 in der ironisch angehauchten Version von Bryan Ferry zum Hit wurde. „United Together“ , ebenfalls über ein Paar, sang Aretha Franklin. Wolfgang Ambros transferierte das Motiv ins Wienerische: „Hauptsach is, wir san beinand“, sang er in „Hand in Hand“.

Auch die Beatles riefen zur Einigkeit – allerdings in textlich skurriler Form: im Song „Come Together“. Die Rohfassung hatte John Lennon angeblich für die Kampagne geschrieben, die der LSD-Prophet Timothy Leary in Kalifornien gegen den dortigen Gouverneur Ronald Reagan führte, mit dem Slogan „Come together, join the party“. Der Beatles-Song erschien 1969, just in dem Jahr, in dem sich die Band endgültig zerstritt. Die Rolling Stones dagegen sind bis heute beieinander. Vielleicht weil sie schon 1967 auf dem völlig eingerauchten Album „Their Satanic Majesties Request“ (nicht gerade ein gospeltauglicher Titel) die Zusammengehörigkeit priesen: „Why don’t we sing this song all together?“

„If the Kids Are United“

Oft wird im Pop natürlich auch die Zusammengehörigkeit in der Gruppe besungen. Sogar im Punk: „If the kids are united“, rief die Band Sham 69, „we will never be divided.“ Von den Pet Shop Boys gibt es einen weniger bekannten Song namens „Together“, doch dieses Wort, wie ein Slogan in den Refrain gerufen, prägt vor allem ihren Song „Go West“, der als Schwulenhymne gilt.

Überdreht wurde der Topos spätestens in Michael Jacksons „We Are the World“, in dem die versammelte Superstar-Liga davon träumte, dass „we stand together as one“. Vielleicht ist die Formel „as one“, diese eigentlich beängstigende Illusion der Aufhebung aller individuellen Unterschiede, ein Signal dafür, dass die Einigung in totalitären Politkitsch überzugehen droht. Der berühmteste Grenzfall: das – in seiner Naivität gerade noch berührende – „One“ von U2.

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