Medien

Wie die „ungeschminkte Wahrheit“ Trump in die Hände spielt

Ätsch, bätsch: Ex-Fox-News-Kommentator Tucker Carlson bei einer Konferenz in Florida im Juli 2023.
Ätsch, bätsch: Ex-Fox-News-Kommentator Tucker Carlson bei einer Konferenz in Florida im Juli 2023.Reuters / Marco Bello
  • Drucken

Politische Meinungsmache findet in den USA zusehends im Internet statt: Auch Ex-TV-Kommentatoren wie Tucker Carlson verkaufen dort ihre Version der „unzensierten“ Realität. Ein Geschäftsmodell mit Nebeneffekten.

Tucker Carlson ist wieder da, und er hat schlechte Nachrichten. Die nächsten zwölf Monate werden „eine wilde Zeit“: Wirtschaftskollaps, Politkrise, Migrationsexzess, Kriegskatastrophen. Dieses Mal geht es um alles, prophezeit der Polit-Polemiker in einer Videobotschaft an seine Fans. Um die Zukunft der Weltordnung – und „um Ihre Seele“. Was tun? Wer ist Freund, wer Feind, was Lug, was Trug? Den „großen Medienfirmen“ kann man nicht trauen: „Ihr Job ist es, Sie zu manipulieren.“ Die Regierung? „Ach bitte. Wie lang ist es her, dass Sie denen auch nur ein einziges Wort geglaubt haben?“ Was jetzt Not tue, sei „etwas Neues“, etwas so „unerbittlich Ehrliches“, dass die „Gatekeeper der Konzerne“ nicht dagegen ankommen.

Was Carlson damit meint? Na, seine neue Medienplattform natürlich!

Diese trägt den programmatischen Titel „Tucker Carlson Network“, kurz „TCN“. Klingt verdächtig nach schändlichen Mainstreamsendern à la CNN, aber weit gefehlt: Der neue Kanal der prominenten US-Medienpersönlichkeit aus dem erweiterten republikanischen Umfeld biete keine Gehirnwäsche, sondern „Interviews, Dokumentarfilme, Analysen“. Vornehmlich von und mit Tucker Carlson, versteht sich. Und, ganz wichtig: „Fakten und Ehrlichkeit, jeden Tag“. Am Montag wurde der Start des Online-Portals verkündet, das laut seinem Namensgeber ausschließlich der „ungeschminkten Wahrheit“ verpflichtet sei.

Kampf gegen Links

„Wahrheit“ versprach ihrem russischen Titel gemäß einst auch die „Pravda“, das mediale Hauptorgan des Zentralkomitees der Sowjetunion – und bot in den bleiernen Zeiten der UdSSR primär das Gegenteil. Auch Lenin schrieb einst dafür, auch er fragte einmal: „Was tun?“ Doch man komme Carlson nicht mit so plumpen Vergleichen: Kommunisten sind dem rechten Demagogen ein Graus. Wie Donald Trump möchte er linkes „Ungeziefer“ gern „bei der Wurzel herausreißen“. Nur würde er dieses Begehr mit mehr Bedacht formulieren: Bei der Vorstellung seines neuen Kanals meinte Carlson, seine Wahrheit „so sanft und so wenig beleidigend wie möglich“ verkünden zu wollen.

Eine Behauptung, die im Widerspruch zum abrupten Ende seiner Karriere bei einem „Mainstreammedium“ steht: Von 2009 bis April 2023 arbeitete Carlson für den rechtspopulistischen US-Nachrichtensender Fox News, spielte dort als Meinungsmacher die paradoxe Rolle des besonnenen Trumpisten. Er und Trump beackerten die gleichen Themen, vertraten oft die gleichen Ansichten. Doch wo ersterer rhetorische G′nackwatschen gegen vermeintliche Feinde Amerikas austeilte, setzte Carlson im Vergleich auf gesittete Samthandschuh-Ohrfeigen – und fand so immensen Anklang beim Fox-Publikum und darüber hinaus.

Tucker Carlson und Donlad Trump: Eine Hassliebe.
Tucker Carlson und Donlad Trump: Eine Hassliebe.dpa

Elon Musks „X“ als neues Zuhause

Trotzdem wurde er im heurigen Frühjahr von seinen Vorgesetzten geschasst. Warum, bleibt unklar. Manche Recherchen nennen interne Querelen als Grund – andere wiederum Carlsons radikale Gesinnung und verharmlosende Berichterstattung zum Sturm auf das Kapitol. So oder so war Carlson für Fox nicht mehr „sanft“ genug. Weich gefallen ist der Shootingstar der Trumposphäre dennoch: Schnell fand er ein neues Zuhause bei Elon Musks Neo-Twitter „X“. Zeitweilig publizierte er dort kurze Videos und längere Interviews. Darunter auch eines mit Trump, bei dem die beiden gleich zu Beginn über Fox lästern. In der Vergangenheit gab es böses Blut zwischen den Co-Populisten. Nun gehen sie wieder auf Kuschelkurs, denn jetzt eint sie ein klares gemeinsames Ziel: Trump for President 2024.

Und da man den Wahlsieg des mehrfach angeklagten Ex-Präsidenten in „traditionellen“ Medien nicht mehr mit genügend Nachdruck vorantreiben kann, weil der „unzensierten“ Wahrheit dort leidige journalistische Schranken gesetzt sind, macht man es eben im Internet. Wenn nötig, mit einer eigenen Plattform. Sponsoren- und Crowdfunding-Geld ist ja genügend da, man braucht es nur aufzuheben. 72 Dollar kostet ein Jahresabonnement bei TCN: der Preis der ungeschminkten Ehrlichkeit.

Die finden geneigte Enthusiasten des neurechten Anti-Establishment-Theaters allerdings auch anderswo: Carlson ist bei weitem nicht der einzige Vertreter dieser Zunft, der seine Marke verstärkt im Netz kultiviert. Im Fahrwasser von Trumps Neuerfindung von Politik als fantasiegetriebene, inhaltlich entgrenzte Multimedia-Burleske hat sich eine regelrechte Heimindustrie reaktionärer Medienunternehmer herausgebildet, die mit einem losen Netzwerk aus Podcasts, Videos, Streams und Social-Media-Accounts auf Menschen- bzw. Kundenfang gehen.

Botschaften an ein Stammpublikum

Ihre Zahl ist Legion. Manche, wie Carlson oder Ben Shapiro, haben TV-Erfahrung. Andere, wie Tim Pool, wurden durch YouTube bekannt. Manche verfolgen augenscheinlich die Absicht, den Trump-affinen Flügel der Republikaner endgültig von der Parteimitte abzutrennen. Andere wollen nur Kohle scheffeln. Gemein ist ihnen allen, dass sie die zumeist verschwörungstheoretisch unterfütterte „Wahrheit“ für sich gepachtet haben, keinerlei Anstalten machen, sich auf Gegenmeinungen einzulassen – und dass sie ihre emotional aufgeladenen, in puncto Realitätsbezug bestenfalls fragwürdigen Botschaften in Form von scheinseriösem Polit-Entertainment direkt an ein abgezirkeltes Stammpublikum adressieren. Was selbiges umso mehr an sie bindet.

Online bleibt solche lukrative Hetze zwar immer noch unter der Wahrnehmungsschwelle der breiteren Öffentlichkeit, spiegelt auf Dauer aber auf diese zurück, wie man am weltweiten Aufstieg und anhaltenden Erfolg von Populisten wie Trump oder Javier Milei – auch dieser ein Interviewpartner Carlsons – ablesen kann. Ein Effekt, der im übrigen auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums zu beobachten ist. Dass die vorwiegend linksliberalen, Trump-kritischen US-Late-Night-Shows nachweislich unter Zuschauerschwund leiden, mag zum Teil an ihren „einfallslos-woken Langweiler-Witzen“ liegen, wie die „Welt“ unlängst schrieb. Wahrscheinlicher ist aber, dass das Late-Night-Konzept an sich am schleichenden Bedeutungsverlust des terrestrischen Fernsehens im Internetzeitalter laboriert – und dass sich auch deren jüngeres Publikum anderen, rabiateren linken Online-Unterhaltungsformaten zuwendet, die längst ebenso zahlreich aus dem Boden schießen wie rechte. Zu nennen wären hier z. B. Podcasts wie „Chapo Trap House“ und „Red Scare“. Doch obwohl deren bissige Plaudertiraden gemeinhin kein gutes Haar an Leuten wie Trump lassen, könnten sie ihm doch in die Hände spielen: Ihre Grundhaltung ist die der Politikverdrossenheit.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.