Chemie

Schimmelpilzgifte belasten Afrikas Ernten – und auch Europa sollte sich wappnen

Mais ist in vielen afrikanischen Ländern ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Eine Boku-Studie zeigte, dass die Kulturpflanze häufig mit Toxinen belastet ist.
Mais ist in vielen afrikanischen Ländern ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Eine Boku-Studie zeigte, dass die Kulturpflanze häufig mit Toxinen belastet ist. APA/Comyan/Herbert Pfarrhofer
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Welche Probleme Schimmelpilzgifte auf dem afrikanischen Kontinent – zunehmend befeuert durch den Klimawandel – anrichten und wie viele Menschen davon betroffen sind, wird an der Boku Wien etwa durch Analysen von Muttermilch und Urin untersucht.

Das Ergebnis schreckte selbst den Chemiker: Jede fünfte nigerianische Muttermilchprobe, die in einem Projekt der Boku Wien untersucht wurde, enthielt sieben Schimmelpilzgifte, darunter das krebserregende Aflatoxin M1. „Solche Befunde sind in Europa undenkbar“, sagt Rudolf Krska, Analytischer Chemiker und Leiter des Instituts für Bioanalytik und Agro-Metabolomics an der Boku in Tulln. Seit über zehn Jahren pflegt er Kontakte zu afrikanischen Partnerinstitutionen und regte in dieser Zeit auch schon mehrere Studien zu Mykotoxinen (siehe Lexikon) in Grundnahrungsmitteln wie Mais an.

Ultrasensitiver Nachweis gelang

Derzeit forscht er mit seinen Kollegen Michael Sulyok und Chibundu Ngozi Ezekiel (beide Boku Wien) an Schimmelpilzgiften, die auf Feldpflanzen unter anderem als Reaktion auf Trockenstress gebildet werden („MycoAfrica“). „Wir wollen feststellen, welcher Mykotoxinbelastung die Bevölkerung in Subsahara-Afrika ausgesetzt ist“, erklärt Krska. Um das herauszufinden, gibt es zwei Möglichkeiten: die Analyse der Mykotoxinkonzentration in Lebensmitteln samt Abgleich des Konsumverhaltens, das mit Fragebögen erhoben wird, oder über Biomarker. Bei Letzterem – der teureren, aber eindeutigeren Methode – werden die über die Nahrung aufgenommenen Mykotoxine und ihre Metabolisierungsprodukte in Blut, Urin oder Muttermilch gemessen.

„Der menschliche Körper versucht in der Leber, die Mykotoxine zu entgiften, was bei manchen recht gut gelingt, etwa bei Mykotoxinen von Fusarium-Pilzen“, erklärt Krska. „Hier wird oxidierte Glukose addiert, wodurch das Toxin wasserlöslich wird und ausgeschieden werden kann. Bei Aflatoxinen, die von Pilzen der Gattung Aspergillus gebildet werden und stark krebserregend sind, klappt das nicht. Diese werden durch die Verstoffwechselung erst richtig scharf gemacht.“ Sie haben die Fähigkeit, direkt an die DNA anzudocken, und können bei der nächsten Vervielfältigung der DNA, also bei jeder Zellteilung, zu Mutationen führen. „Hier gibt es keine Grenzwerte, schon ein Andockmanöver kann Krebs auslösen.“

»Im Zusammenwirken der Mykotoxine können bestimmte toxische Eigenschaften zudem verstärkt werden.«

Rudolf Krska

Analytischer Chemiker, Boku Wien (IFA-Tulln)

Glücklicherweise setzen in dem Fall weitere Entgiftungsmechanismen ein, wie Enzymscheren, die das Mykotoxin wieder aus der DNA herausschneiden (mitsamt der Guanin-Base). Krska entwickelte mit seinen Kollegen einen Nachweis für diesen Vorgang – und damit für die Aufnahme, die Entgiftung und die Ausscheidung der gefährlichen Pilzgifte über den Urin. Ein weiteres Sicherheitsnetz liefern Killerzellen des Immunsystems, das allerdings bei Kindern noch nicht gut ausgeprägt ist und bei älteren Menschen weniger verlässlich funktioniert.

Hepatitis verschärft das Problem

Die bisherigen Studien von Krskas Team in Afrika ergaben nicht nur eine massive Belastung in der Muttermilch, sondern machten auch die Tragweite des Problems fassbar. So fanden die Forscher in 99 Prozent der Urinproben sieben Schimmelpilzgifte, in 71 Prozent der Proben war Aflatoxin M1 enthalten. „Im Zusammenwirken der Mykotoxine können bestimmte toxische Eigenschaften zudem verstärkt werden“, warnt der Chemiker. Zusätzlich kritisch werde das bei Menschen mit Hepatitis B oder C – in Afrika weitverbreitete und massiv leberschädigende Krankheiten. „Kommt dazu eine chronische Belastung durch leberkrebsfördernde Aflatoxine, weil wie in bestimmten Regionen in Nigeria oder in Südafrika generell kaum Mais ohne diese Gifte anzutreffen ist, führt das zu einer hohen Inzidenzrate von Leberkrebs.“

Für Probleme sorgen Mykotoxine auch im Tierfutterbereich, über die Gifte wiederum in die menschliche Nahrungskette gelangen können. Einfache Lösungen gibt es keine, denn anders als Pestizide entstehen Schimmelpilzgifte auf natürliche Art und Weise. „Mykotoxine werden auf Ernterückständen gebildet, und durch Regen und Wind gelangen die Sporen auf die neuen Pflanzen“, so Krska. „Idealerweise geht man schon mit entsprechend resistenten Sorten, etwa mit stärkeren Zellwänden oder pflanzenspezifischen Entgiftungsmechanismen, ins Feld.

Aber auch Biokontrolle ist eine Möglichkeit, die etwa in Nigeria schon zum Einsatz kommt.“ Dabei werden Biokontrollorganismen (z. B. Pilzmutanten, die keine toxischen Metaboliten bilden) isoliert, vermehrt und auf den Boden gesprüht. Diese halten dann die giftigen Pilze auf dem Feld in Schach. Anpassungsprozesse der unerwünschten Schimmelpilze sowie unterschiedliche klimatische Bedingungen und Böden fordern die Methode aber heraus und verkomplizieren überregionale Lösungen.

Lagerbedingungen sind oft nicht ideal

Schlechte Lagerbedingungen befeuern das Schimmelpilzwachstum ebenfalls. „Wir wollen mit unserer Arbeit auch das Bewusstsein dafür stärken“, betont Krska. „Mais wird in vielen Regionen des Globalen Südens oft bei großer Hitze, hoher Luftfeuchtigkeit und mangelnder Belüftung gelagert.“ In einer Total-Diet-Studie der WHO, in der erhoben wurde, welche Substanzen in welchen Konzentrationen in Standardgerichten enthalten sind, kam ein weiteres an der Boku in Kooperation mit dem K1 Lebensmittelkompetenzzentrum FFoQSI entwickeltes Tool zum Einsatz, das in 45 Minuten mehr als 1000 Toxine nachweisen und quantifizieren kann. In gängigen Speisen auf Basis von Mais, Milchprodukten und Gemüse aus Nigeria, Kamerun, Mali und Benin konnten damit 164 verschiedene Toxine nachgewiesen werden.

Krska: „Wir stellten fest, dass der mittlere Aflatoxingehalt bei 56 Mikrogramm pro Kilogramm lag. Der Grenzwert in der EU liegt bei fünf.“ Aus diesen Daten können Akteure vor Ort Risikobewertungen für bestimmte Regionen ableiten und etwa Schulungen für besseres Handsortieren anbieten.

Dürren erhöhen das Risiko in Europa

„Dank der verbesserten Lebensmittelsicherheit stellen Mykotoxine in Europa derzeit kaum ein Problem dar“, sagt Krska, der sein Wissen dazu in seinem Buch „Essen ohne Gift?“ (Picus-Verlag, 2023) für Laien aufbereitet hat. Vorläufig. Denn wie an der britischen Uni Exeter gezeigt wurde, wandern pathogene Mikroorganismen mit einer Geschwindigkeit von zehn Kilometer pro Jahr Richtung Polkappen.

„Durch Extremwetterereignisse sahen wir schon Vorboten dessen, was sich abspielen kann – zum Beispiel vor zehn Jahren, als serbischer Futtermais für Milchkühe hohe Aflatoxingehalte aufwies.“ Der Grund: „Nach einer Dürre kam es zu einer unglaublichen Infektion der Ernte mit Aspergillus-Pilzen. Bisher war das eher ein Importproblem aus tropischen Regionen.“

Lexikon

Mykotoxine sind sekundäre Stoffwechselprodukte, die von Schimmelpilzen als Reaktion auf Trockenstress oder Nahrungsmangel gebildet werden. Sind Feldpflanzen ihr Wirt, versiegt die Nahrungsquelle z. B. zur Vollblüte, weil die Pflanze dabei sehr starke Zellwände aufbaut.

Pilzgifte schwächen das Pflanzenimmunsystem und sind für Mensch und Tier giftig. Sie können
u. a. Kopfschmerzen, Blutdruckabfall, Nierenschädigung, Leberkrebs und Unfruchtbarkeit auslösen.

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