Musik für die Feiertage

Die Weihnachtshits, die gar keine sind

Weihnachtsengerl Mariah Carey: Hatte sie eigentlich noch andere Lieder als Weihnachtslieder? Moment, da war was…
Weihnachtsengerl Mariah Carey: Hatte sie eigentlich noch andere Lieder als Weihnachtslieder? Moment, da war was… Reuters / Carlo Allegri
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Nein, „Hallelujah“ ist kein Weihnachtslied, und „The Power of Love“ auch nicht – was viele von uns nicht davon abhält, Songs wie diese in unsere Feiertags-Playlists zu schummeln. Was macht sie so festlich?

Was macht ein Weihnachtslied zum Weihnachtslied? Der Umstand, dass darin der Stall von Bethlehem, der Weihnachtsmann, klingelnde Glöckchen oder auch nur angemessen verschneite Winterwunderländer vorkommen? Oder reicht es schon, wenn das Lied in keiner anderen Jahreszeit als der jetzigen auszuhalten ist?

Es gibt da jedenfalls noch eine ganz andere Kategorie von Weihnachtsliedern: Jene nämlich, die mit den Feiertagen eigentlich nichts zu tun haben, sich irgendwann aber doch in die Christmas-Playlists und Radio-Programme eingeschlichen haben. Weil sie eine gewisse spirituelle Anmutung haben, weil sie ein Gefühl von Wärme und Wunder vermitteln, weil sie sich klanglich nahtlos zwischen „White Christmas“ und „Jingle Bell Rock“ einreihen lassen. Weil sie gezielt als Feiertagsware vermarktet wurden (wie Robbie Williams‘ und Nicole Kidmans Version von „Something Stupid“) oder durch ihren Einsatz in Weihnachtsfilmen für immer mit Lametta behängt bleiben werden (wie „Love is All Around“ von Wet Wet Wet, ausführlich gecovert in „Tatsächlich… Liebe“).

Oder aber, weil sie von Interpreten stammen, die ein Weihnachtsalbum nach dem nächsten herausbringen und sich so sehr aufs Festtagsgebimmel spezialisiert haben, dass damit auch ihre anderen Lieder unweigerlich zu Weihnachtssongs umgedeutet werden. Im Folgenden jedenfalls eine Auswahl an Songs, die es ganz ohne Erwähnung von Weihnachten unter die Feiertags-Favourites geschafft haben.

Leonard Cohen: „Hallelujah“

Bis zu 180 Strophen soll Leonard Cohen für seinen berühmtesten Song begonnen haben, Weihnachten kam in keiner vor. Klar, eine andächtige Stimmung und alttestamentarische Bezüge kann man dem Werk nicht absprechen, weshalb es wohl ebenso auf Beerdigungen wie auch auf Hochzeiten, Parteitagen und in emotionalen Filmszenen verwendet wird. Während der „geheime Akkord“, den König David für Gott spielte – wohl rund 1000 Jahre vor Jesu Geburt –, in der ersten Strophe durchaus besinnlich stimmt, handelt das Lied eigentlich von Begehren und Erfüllung: in existenzieller, spiritueller, aber auch sexueller Hinsicht („she tied you to a kitchen chair…“). Sagen Vertraute von Cohen, er selbst wollte es nicht erklären. So manche der vielen Musiker, die „Hallelujah“ gecovert haben – von Jeff Buckley über Bon Jovi bis Celine Dion –, scheint das nicht übermäßig beschäftigt zu haben. Auch nicht die A-Cappella-Truppe Pentatonix, die mit ihren unsäglichen Interpretationen schon viel zum Weihnachtslied umgedeutet hat – etwa den Disney-Hit „Let it go“ oder gar John Lennons „Imagine“.

Mariah Carey und Whitney Houston: „When You Believe“

Stolze vieranderthalb Minuten trällern die kraftstrotzenden Stimmen im Duett. „When You Believe“ von Whitney Houston und „Queen of Christmas“ Mariah Carey erzählt von Liebe und Hoffnung (biblisch wie weihnachtlich) und ist dabei umwerfend intoniert. Für Filmaffine ist die Popballade vielleicht anders behaftet: Komponiert wurde sie für den Zeichen­trick-Streifen „Der Prinz von Ägypten“, 2020 untermalte sie Lisa Webers Filmportrait einer Familie im Wiener Gemeindebau, „Jetzt oder morgen“.

Michael Bublé: „Everything“

Schon sein Name klingt festlich: Michael Bublé. Man hole den Perlwein! Aber auch die Diskografie des Kanadiers (mit kroatischem Namen) tut sein Übriges. Sein siebtes Studioalbum von 2011 heißt unmissverständlichen „Christmas“, die erste Weihnachts-EP „Let It Snow“ kam schon 2003. „Everything“ kam dazwischen: eine aufopfernde Liebesnummer, angeblich seiner Ex-Freundin Emily Blunt gewidmet. Ein solches Schmachten macht sich ums Fest der Liebe besonders gut, wie auch der zuckerige Gesang Bublés.

Louis Armstrong: „What A Wonderful World“

Die positive Message dieses Liedes sollte die Wunden der Amerikaner, die Vietnam-Krieg und die Kennedy-Morde ausgelöst hatten, heilen. Louis Armstrong war vom Song auf Anhieb begeistert. Allein sein Plattenboss Larry Newton hasste das Lied und sabotierte es in den USA. Half nicht viel. In England wurde es 1967 Platz 1. Bald sang es die halbe Welt. Besonders schön sind die Versionen von Israel Kamakawiwo‘ole und von Nick Cave, der es als Duett mit Shane McGowan herzte. 

Joni Mitchell: „Both Sides Now“

Christbäume und Rentiere kommen bei Joni Mitchell vor, allerdings in „The River“, das wohl zu traurig ist für die meisten Weihnachtsplaylists. Warum das melancholische „Both Sides Now“? Das kommt prominent vor in „Tatsächlich... Liebe“, ist doch die betrogene Karen großer Mitchell-Fan. Sie habe beide Seiten der Wolken gesehen, singt die Liedermacherin (die Inspiration dazu kam ihr beim Fliegen). Und doch wisse sie nichts darüber. Beide Seiten der Liebe gesehen, und wieder nicht. Beide Seiten des Lebens. Mit dieser Widersprüchlichkeit fängt das zarte Lied Weihnachten durchaus ein: fröhlich und besinnlich, still und laut, Fest der Liebe und des Konsums. 

Keane: „Somewhere Only We Know“

Die Rockballade (2003) wurde zum bekanntesten Song von Keane. Auch weil Lily Allen mit einer Version für eine Weihnachtswerbung damit 2013 auf Platz eins der Charts landete. Wo ist der Ort, den nur die Band kennt? Die Beschreibung passt auf einen Wald in ihrer südostenglischen Heimat, wo 1066 die Schlacht bei Hastings ausgefochten wurde. Als Keane den Song schrieben, fühlten sie sich als Besiegte: Ihr erster Versuch des musikalischen Durchbruchs war gescheitert. Der Song handelt vom Verlust eines Traumes und von der kindlichen Naivität. Der Refrain lässt sich aber durchaus weihnachtlich interpretieren: „Oh, simple thing, where have you gone? I‘m getting old, and I need something to rely on“, singt Tom Chaplin. Er sucht Halt und einen Rückzugsort. Weihnachten ist das Fest, bei dem der Wert der Familie und des Zuhauses hochgehalten wird. Und Chaplin stellt die Frage nach dem Einlass: „When you‘re gonna let me in?“. Das könnten Maria und Joseph singen.

Frankie Goes To Hollywood: „The Power Of Love“

Die wahre oder die Ware Liebe? Bei dieser Radikalschnulze weiß man nicht so genau, ob nicht doch die Sehnsucht nach viel Geld Ausgangspunkt der musikalischen Bemühungen dieser Ode an die Liebe war. Am Cover war ein Ausschnitt von Tizians „Mariä Himmelfahrt“ zu sehen, in der langen Version wurde das Vaterunser zitiert. Weihnachtslied war es ursprünglich dennoch keines. Die Band nütze jedenfalls das Veröffentlichungsdatum 19. November 1984 perfekt: Im Video dazu werden die Vorgänge um die Geburt Jesu reuelos verkitscht.

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