Grenzkontrollen

Was Österreichs Schengen-Veto mit Waschmittel zu tun hat

Bulgarien verstärkte seine Grenze zur Türkei mit einem neuen Zaun.
Bulgarien verstärkte seine Grenze zur Türkei mit einem neuen Zaun. NIKOLAY DOYCHINOV / picturedesk.com
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Bulgarien kontrolliert als Gegenreaktion auf das Schengen-Veto österreichische Importe, beschlagnahmt tausende Waren. Das Innenministerium verwickelt sich indes in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung in Widersprüche.

Wien. Österreich hält als einziges EU-Land trotz Freigabe der Flughäfen am Schengen-Veto gegen Bulgarien und Rumänien weiterhin fest. Die absurden Folgen und Widersprüche dieser Maßnahme wurden zu Jahreswechsel deutlich. Zum einen durch einen Revancheakt Sofias, zum anderen durch eine Offenlegung des Innenministeriums, das allerdings darauf hinweist, dass es weiterhin relevante Gründe für Binnengrenzkontrollen gibt.

Die bulgarische Regierung hat als Reaktion auf das anhaltende Veto verschärfte Kontrollen von Waren und Gütern von und nach Österreich eingeführt. Die Bilanz wurde nun erstmals veröffentlicht: Beschlagnahmt wurden unter anderem 1500 Kilogramm Waschmittel, 5429 Elektrogeräte und 800 Liter Motoröl. Viele der insgesamt 61.000 Waren, die eigentlich in der EU frei gehandelt werden dürften, seien laut bulgarischen Behörden nicht ordnungsmäßig deklariert gewesen.

Es besteht kein Zweifel, dass derart schikanöse Vorgehensweisen, auch wenn Sofia sie mit den von Österreich eingeforderten schärferen Kontrollen rechtfertigt, eine Reaktion auf das von Sofia und Bukarest kritisierte österreichische Veto gegen die Aufhebung der Grenzkontrollen zu allen anderen EU-Staaten ist. Beide Länder erfüllen mittlerweile alle von der EU-Kommission geprüften Bedingungen. Sie fühlen sich von Österreich diskriminiert und als politisches Faustpfand für eine schärfere EU-Migrationspolitik missbraucht.

Keine Evaluierung

Dass die Bundesregierung aus politischen Gründen diese Entscheidung getroffen hat, wurde Ende 2023 durch eine Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Neos deutlich. Das Innenministerium bestätigt nämlich darin, dass es keine Evaluierung des wirtschaftlichen Schadens des Vetos gab. Außerdem stellte Innenminister Gerhard Karner darin fest, dass es weder klare Kriterien für ein Ende des Vetos noch einen Zeithorizont für den vollständigen Schengenbeitritt beider Länder gibt. „Es gibt weder eine Roadmap noch einen vorgefertigten Zeitplan.“ Im regelmäßigen Austausch mit den betroffenen Ländern, den restlichen EU-Ländern und der EU-Kommission würden allerdings die jeweils möglichen nächsten Schritte beraten. Zuletzt hat Österreich als Bedingung für einen weiteren Schritt Richtung Grenzöffnung die Aufstockung des Frontex-Einsatzes in Rumänien und Bulgarien, außerdem mehr Geld der EU-Kommission für die Außengrenzüberwachung gefordert.

Neos-Abgeordnete Kripser: „Die Chronologie ist eine einzige Peinlichkeit.“
Neos-Abgeordnete Kripser: „Die Chronologie ist eine einzige Peinlichkeit.“ APA/Georg Hochmuth

Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper kritisiert nicht nur die unkoordinierte Herangehensweise, sondern auch Widersprüche in der Argumentation der Regierung: „Die Chronologie ist eine einzige Peinlichkeit. Zuerst hieß es: Beide Staaten sind nicht bereit. Das ist dann in sich zusammengefallen. Dann: Das (Schengen)-System sei kaputt, und ein kaputtes System darf man nicht erweitern. Kroatien wurde aber reingelassen.“ Letztlich sei mit Schengen-Air ein Kompromiss in Brüssel gefunden worden. Doch damit „ist jetzt die letzte Begründung weg“, das Veto gegen Öffnung der Landgrenzen weiterhin aufrechtzuerhalten.

Das Innenministerium argumentiert in der Beantwortung der Anfrage, dass die Entwicklung in den Jahren 2022 und 2023 zeige, „dass die EU-Außengrenze nur mangelhaft überwacht wird und das Schengen-System in seiner Gesamtheit nach wie vor kleine Defizite aufweist.“ Auch sei der Migrationsdruck 2023 auf EU-Ebene im Vergleich zu 2022 weiter gestiegen. Laut einem Sprecher des Innenministeriums wurden laut vorläufiger Zahlen im vergangenen Jahr noch immer 60.000 irreguläre Migranten, die über Türkei und Griechenland über diese Länder kamen aufgegriffen. Das sei eine Steigerung von acht Prozent gegenüber dem Jahr davor gewesen. „Der Grund für das Festhalten am Veto ist also nicht weg.“

Die Argumentation wird zwar auch von Experten bestätigt, doch für eine Schuld an dieser Entwicklung auf der Seite von Rumänien und Bulgarien gibt es keinen Beleg. Die Balkan-Route ist aktuell nicht das wichtigste Einfalltor irregulärer Migration, sondern das zentrale Mittelmeer. Beide Staaten haben zudem die Kontrollen ihrer Außengrenzen zu Drittstaaten verstärkt. Rumäniens Botschafter in Wien, Emil Hurezeanu, kritisierte bereits vor Wochen die Haltung der Bundesregierung und betonte gegenüber der „Presse“: „Wir werden immer wieder mit neuen Realitäten konfrontiert, die wir nicht bestimmt haben und deren Lösung nicht in unserer Hand liegt.“ 

Neos-Abgeordnete Krisper ortet in der unnachgiebigen Haltung der Regierung ein Glaubwürdigkeitsproblem: „Die Antworten des Innenministers (auf die parlamentarische Anfrage, Anm.) beweisen die Unredlichkeit des Vorgehens: Es gibt keine zu erfüllenden Kriterien, keine Roadmap und keine Evaluierung des wirtschaftlichen Schadens, den Österreich durch die Vetos trägt. Der jetzige Kompromiss ist nichts mehr als ein peinlicher Versuch, aus dem Loch rauszukommen, das man sich selbst gegraben hat.“

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