Tiefsee

Das Experiment in der Arktis, das die (Meeres-)Welt verändern könnte

Vor Spitzbergen beginnt eine Zone, in der Tiefseebergbau betrieben werden darf.
Vor Spitzbergen beginnt eine Zone, in der Tiefseebergbau betrieben werden darf.Picturedesk/Zaruba Ondrej
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Die Welt giert nach kritischen Rohstoffen. Norwegen erlaubt jetzt im Grundsatz auch den Tiefseebergbau. Umweltschützer fürchten eine Katastrophe.

Oslo. Das Experimentierfeld ist dreieinhalb Mal so groß wie Österreich. Es misst 281.000 Quadratkilometer. Es liegt hoch oben im Norden Europas und Tausende Meter in der Tiefe. Norwegens Parlament hat einen Teil des Meeresbodens für den Tiefseebergbau freigegeben. Als erstes Land der Welt erlaubt es im Grundsatz die Förderung von Rohstoffen dort. Es ist ein Tabubruch und auch ein historischer Fehler, wie Ozeanologen fürchten, weil die Tiefsee kaum erforscht ist und der Abbau ganze Ökosysteme ins Wanken bringen könnte.

In Oslo sehen sie das anders. Dort führen sie die großen Fragen unserer Zeit an, um das Experiment in den arktischen Gewässern zwischen Spitzbergen und Grönland zu rechtfertigen: den geopolitischen Konflikt mit China, aber auch die Klimakrise. Die Schätze im Meeresboden sollen helfen, die Abhängigkeit von den Autokratien in Peking und anderswo abzuschwächen. Die Liste an kritischen Rohstoffen der EU-Kommission hat Oslo ermutigt.

Im Vorjahr publizierte Norwegens Energie-Direktorat eine Studie, wonach in dem untersuchten Gebiet am Meeresgrund vier von Brüssel als kritisch eingestufte Rohstoffe entdeckt worden seien: Magnesium, Niobium, Kobalt und seltene Erden. Dazu auch Nickel- und Kupfervorkommen in rauen Mengen.

„Wir brauchen die Mineralien“

Die Welt giert nach kritischen Rohstoffen, wie sie auch für Smartphones und in anderen High­tech-Geräten benötigt werden. Das Experiment erhält von Norwegen dabei auch einen tiefgrünen Anstrich: In Oslo erinnern sie daran, dass die Energiewende an der Verfügbarkeit von kritischen Rohstoffen hängt. „Wir brauchen diese Mineralien, weil wir die grüne Transformation mit Brennstoffzellen, Solarpaneelen und Elektroautos anführen wollen“, erklärt die Abgeordnete Marianne Sivertesen Naess von den regierenden Sozialdemokraten. Beispiel: Das stahlgraue Metall Kobalt steckt in Batterien von E-Autos, seltene Erden in Magneten von Windrädern. Wobei: Manche halten die Klima-Argumente für Heuchelei. Sie glauben, dass die Norweger aufs Geschäft schielen, dass es West­europas Öl- und Gasriese vor allem darum geht.

Die Politik indes beruhigt. Der Beschluss des Storting, des Parlaments, sei kein Freibrief für den Bergbau der Tiefsee. Er ermöglicht nur die Vergabe von Lizenzen, wofür aber die Schonung der Umwelt nachzuweisen ist.

Die Artenvielfalt der Tiefsee

Vielen Meeresbiologen und Umweltaktivisten reicht das nicht. Sie fürchten, dass Norwegen einen gefährlichen Wettlauf um die Bodenschätze am Meeresboden in Gang setzt. Dass es hasardiert. Denn die Tiefsee ist ein Rätsel. Sie birgt noch mehr Geheimnisse als Bodenschätze. Als neulich Wissenschaftler die Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) im Zentralpazifik untersuchten, fanden sie eine große Anzahl an neuen Tierarten, nämlich mehr als 5000. Die Zone gilt schon länger als attraktives Abbaugebiet. Vor allem der winzige Pazifikstaat Nauru macht Druck.

Meeresforscher drängten im Vorjahr auf ein Moratorium, solang es noch so viele Unbekannte gibt. Eine Befürchtung lautet, dass durch den Tiefseebergbau ganze Ökosysteme verheert werden. Beispiel: 30 bis 40 Prozent der Tiere in der CCZ sollen sich in der Umgebung von Manganknollen aufhalten, die im großen Stil abgebaut werden sollen. Diese Knollen haben die Größe von Kartoffeln und enthalten wertvolle Metalle. Greenpeace wies auch darauf hin, dass Wale durch den Lärm der Tiefsee-Maschinen gefährdet würden. Befürworter halten dagegen, dass beim Rohstoff-Abbau an Land noch mehr Schäden entstehen und etwa in den Minen im Kongo die Arbeitsbedingungen schlimm sind.

In der Tiefsee herrscht jedenfalls gewissermaßen Anarchie. Verbindliche Regeln fehlen. Im Vorjahr scheiterte die Internationale Meeresbodenbehörde mit ihren 34 Mitgliedern an der Verabredung eines Regelwerks. Sie will das bis 2025 nachholen. Viele üben Selbstverzicht. Die größten Staaten Europas zum Beispiel haben sich ein Moratorium auferlegt. Auch mancher Industriekonzern hängt sich an. China nur zum Beispiel gilt aber als fest entschlossen, seinen Rohstoffhunger früher oder später auch am Meeresboden zu stillen.

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