Feuilleton-Briefing

Überraschende Ähnlichkeiten: René Benko und Ludwig II.

Nicht nur das Barthaar tragen Märchen- und Kaufhauskönig ähnlich. Sie verbindet auch ihr Faible für (künstliche) Grotten.
Nicht nur das Barthaar tragen Märchen- und Kaufhauskönig ähnlich. Sie verbindet auch ihr Faible für (künstliche) Grotten. Archiv
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Diese Kulturwoche war noch zwischen den Zeiten gefangen. Zwischen Kaufhaus- und Märchenkönig. Aber auch zwischen den Jahren. Ab nächster Woche kommt alles wieder in die (gewohnten) Gänge, versprochen: Mit Bernstein-Premiere im Theater an der Wien und Bad-Ischl-Eröffnung als EU-Kulturhauptstadt.

Sind Sie noch dort oder schon hier? Willkommen, in den letzten Zügen dieser Zwischenzeit. Wenn das eine Jahr noch nicht bewältigt scheint und das neue sich einem noch nicht geöffnet hat. Die Rituale, die dieser Zeit ihre Struktur geben, so belastend diese auch sein können, haben sich erschöpft. Der Tag der unschuldigen Kinder, der Zug der Heiligen Könige, das sind nur noch die Nachwehen, um uns nicht allzu plötzlich in der Kälte stehenzulassen. Doch jetzt, nur noch Kälte, Innehalten in der Erstarrung. Während wie in der Unendlichen Geschichte, ja, ich habe auch ferngesehen zu den Feiertagen, das Nichts die Welt stetig zum Bröckeln und Zerfallen bringt, das Signa-Kartenhochhaus in sich zusammenkracht, in unheimlich rasanter Zeitlupe. Ganz ist man Auge dabei, das Hirn nur begleitend wie ein Steinbruch, mehr Trümmerhaufen als Carrarahang. Nur manchmal steigen Bilder aus dem Staub der News, wenn man von der Blauen Grotte erfährt, die René Benko sich in den Keller seiner Privatvilla hat bauen lassen. Bilder aus Viscontis schwülem Ludwig-II-Film, längst vergessene Bilder vom Gesicht des bayerischen Märchenkönigs, mit dem Schnurr- und Kinnbärtchen. Bilder vom Gesicht des Kaufhauskönigs, mit dem Schnurr- und Kinnbärtchen. Kann es sein, dass er sich identifiziert hat, zumindest mit dem baulichen Irrsinn, den romantischen Fantasy-Gebilden des Wittelsbachers? Oder geht jetzt mit mir meine romantische Fantasy durch?

Welch irgendwie tröstliche Vorstellung, wäre hier doch mehr, hätte hier doch zumindest ein Bewusstsein geherrscht für die eigene skrupellose Megalomanie. In Ludwigs Blauer Grotte auf Schloss Linderhof schwebte zwar noch ein goldener Muschelkahn und schwammen die Schwäne, während in Benkos Grotte nur der blanke Kunstfels der sterilen Luxuswellness bleckt. Doch jederzeit ihre Grotte, jeder Grotte ihre Freiheit. Kann man nur allen wünschen. Was wünschen Sie sich? Welchen Sehnsuchtsort wird man einmal in Ihrem Keller finden? Wird sich Klaus Albrecht Schröder, sein letztes Jahr nach einem Vierteljahrhundert als Albertina-Direktor ist angebrochen, einen Tiefspeicher mit Dürer-Hasen einbauen lassen? Der Salzburger Intendant die Felsenreitschule in Miniature? Van der Bellen eine Tapetentür, hinter der er zum Rauchen verschwinden kann? Man weiß es nicht. Gut so.

Ich schwanke noch zwischen der Kuppel des Kunsthistorischen und der Marriott-Felsen-Bar aus meiner Anfangszeit bei der „Presse“, als diese noch am Parkring logierte, vielleicht ja eine Kombination aus beidem. Die Grotten ließen mich diese Woche jedenfalls nicht los. Sogar ins Dunkel des Admiralkinos verfolgten sie mich, wo ich mich schwer in eine italienische Kunstfilmerin verliebte, Alice Rohrwalder und ihren Chimären-Film, noch läuft er, laufen Sie auch! Ein liebenswertes Pack Räuber plündert dort etruskische Gräber mit einer Nonchalance, wie das wohl nur in Italien geht, es müsste einem nur das italienische Wort dafür einfallen jetzt. In Wirklichkeit aber herrscht hier subkutan das Matriarchat, die Höhlen sind nur Zwischenstationen der Herren auf ihrer Erkenntnis dieses Wegs zum Licht, Verzeihung die Direktheit. Am Ende findet auch der spröde Wünschelrutengänger den roten Ariadnefaden im Dunkeln, der ihn seinen Frieden wiederfinden lässt. Und nein, es ist nicht so käsig, wie man im Englischen sagen würde, wie das hier klingt. Gar nicht.

Ein bisschen mehr Action? Stellen Sie sich vor, wie ein Buch unser Feuilleton entzweit, Stefanie Sargnagels „Iowa“ lässt unsere Wogen gerade hochgehen, die Fronten sind verhärtet, kann ich nur sagen. Ich neige zur Verteidigungslinie, aber ich lese noch. „Iowa“ hat starke Konkurrenz, da ist noch Karl Ove Knausgards Annäherung an Anselm Kiefer, zum Niederknien komisch. Der Briefwechsel von Alma Mahler und Gropius, das wird länger dauern. Der neue Murakami, laut unserer Spectrum-Chefin einen unbedingten Versuch wert. Und Voltaires „Candide“, der seit Wochen schon in der Tasche lauert. Denn, da können Blaue Grotten entdeckt und Konzerne implodieren, ab nächster Woche hat das Feuilleton es mit anderem zu tun. Nämlich mit Bernstein. Seine satirische Operette „Candide“ läuft im Musiktheater an der Wien an, seine West Side Story in der Volksoper, und wer sich am Wochenende auf all das einstimmen möchte, der soll den „Maestro“ noch schnell im Kino besuchen. Denn nächstes Wochenende heißt es, nach Bad Ischl zu reisen, wo das Kulturhauptstadtjahr eröffnet wird. Dann sind wir endgültig alle im hier angelangt. In der besten aller Welten, wie der ewige Optimist Candide glaubt, auch wenn diese Welt rundum zerbirst. Arbeiten, ohne nachzudenken, das ist der Rat, den man in Candide findet, als „einziges Mittel, das Leben erträglich zu machen.“ Eine kapitalistische Versprechung, die einem zumindest hilft, endlich in die Gänge zu kommen.

Genau das versucht jetzt nämlich Ihre,

Almuth Spiegler
almuth.spiegler@diepresse.com

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