Essstörungen gelten als besonders sensibles Thema, vor allem für Jugendliche: Jessica Hausners Satire „Club Zero“ kam mit einem entsprechenden Warnhinweis ins Kino.
Warnhinweise

Gewalt, Sex, überholte Ideen: Was bringen Triggerwarnungen vor Kunst und Kultur?

Sollen Filme, Theaterstücke oder Ausstellungen vor schwierigen Inhalten warnen? Die Frage polarisiert. Wir fragten Kulturschaffende, warum sie es (nicht) tun.

Wahnsinnig gern wären seine Nachbarn zur Premiere gekommen. Sie sind 90 und 85 Jahre alt, haben beide als Kinder den Zweiten Weltkrieg erlebt. Als Martin Finnland ihnen von seiner Inszenierung von „Die Namenlosen“ erzählte, einem Stück über die Verfolgung von Homosexuellen durch das NS-Regime, waren sie interessiert. Der Regisseur sagte ihnen, was sie erwarten würde: Sirenen etwa. „Da hat die Nachbarin gesagt, sie hat das aus ihrer Kindheit noch so traumatisch in sich, dass sie bis heute darauf reagiert.“ Die Nachbarn beschlossen, nicht hinzugehen.

Martin Finnland hatte seinen Nachbarn eine sogenannte Triggerwarnung gegeben: einen Hinweis darauf, welchen möglicherweise psychisch belastenden Inhalten sie im Stück ausgesetzt sein würden. Das könne man beachten oder auch nicht, meint der Regisseur: „Ich verstehe die Aufregung nicht.“

Sie ist immer wieder groß, die Aufregung, wenn bekannt wird, dass einem Buch, einem Film, einem Theaterstück oder einer Ausstellung ein Warnhinweis vorangestellt wird. Umso größer, wenn es sich um ein geliebtes Werk der Kulturgeschichte handelt. Neulich traf es James Bond: Das British Film Institute, das im Februar einige ältere 007-Filme zeigt, weist vorab darauf hin, dass die Filme „Sprache, Bilder oder andere Inhalte enthalten, die Ansichten widerspiegeln, die früher vorherrschend waren, aber heute Anstoß erregen (wie auch damals)“. „You Only Live Twice“ (1967) etwa enthalte „überholte rassistische Stereotype“.

Otto, Schimanski, „Club Zero“, Netflix-Serien, ...

Mit ähnlichen Hinweisen bedachte im Vorjahr der WDR alte Folgen der „Otto-Show“ („enthält Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden“) und die ARD in ihrer Mediathek Schimanski-„Tatort“-Folgen aus den 1980ern („diskriminierende Sprache und Haltung“). Der Innsbrucker Haymon-Verlag versieht das Impressum einiger Bücher ebenfalls mit Warnungen: Das Buch „konfrontiert dich mit Fluchterfahrung, (sexueller) Gewalt, Rassismus“, heißt es dann zum Beispiel.

Der im Vorjahr herausgekommene Kinofilm „Club Zero“ der österreichischen Regisseurin Jessica Hausner hat anfangs einen eingeblendeten Hinweis: Es gebe hier Szenen über Essstörungen, die für manche Zuschauer verstörend wirken könnten. Essstörungen gehören – wie Suizid und selbstverletzendes Verhalten – zu den Themen, bei denen auch YouTube eine Warnung vor Videos schaltet, im Sinne des Jugendschutzes. Und Streamingdienste wie Netflix blenden beim Start eines Films oder einer Serie im Bildschirmeck neben der Altersempfehlung auch ein, was einen erwartet: „Nacktdarstellungen“ etwa oder „Drogen“.

Triggerwarnung ist nicht gleich Triggerwarnung (im Englisch wird oft der Begriff „content warning“ vorgezogen), in der Debatte wird einiges zusammengeworfen: Jugendschutz und gesundheitliche Faktoren, Freiheit der Kunst und Antidiskriminierung, moralische und ideologische Überlegungen. Schnell fallen dann psychologische Begriffe wie „Retraumatisierung“ oder werden Bedenken vor „Zensur“ geäußert. Und oft fällt die Frage: Ja, dürfe man die Menschen denn nicht einmal mehr in der Kunst mit Dingen konfrontieren, die nicht angenehm oder gar verletzend sind?

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