Morgenglosse

Warum der Begriff „Leitkultur“ nicht verteufelt werden sollte 

Bundeskanzler Karl Nehammer bei seiner Rede am Freitagnachmittag in Wels.
Bundeskanzler Karl Nehammer bei seiner Rede am Freitagnachmittag in Wels.APA/Fohringer
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Auf die Auslegung und Umsetzung kommt es an – nicht darauf, dass sich dieses Wort elitär, absolut und herablassend anhört.

Er stehe zu dem Begriff „Leitkultur“ und lasse ihn sich nicht von „Radikalen“ und „linken Träumern“ wegnehmen, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer bei der Präsentation seines „Österreichplans“ am Freitag. Denn für ihn sei der Begriff gleichbedeutend mit Vielfalt, Respekt, Wertschätzung und Toleranz. Sich zu „gemeinsamen Spielregeln“ sowie „demokratischen Grundwerten“ zu bekennen und an die Aufnahmegesellschaft „anzupassen“, betrachte er als legitime Forderung bei der Integration zugewanderter Personen.

Diese Passage aus seiner Rede, die ihm viel Kritik eingebracht hat, ist bezeichnend für die Integrations- und Migrationsdebatte der vergangenen Jahrzehnte, die häufig rein akademisch im Sinne von lebensfern geführt wird. Gewissermaßen als Mediendebatte, in der zumeist Personen zu Wort kommen, die nicht unmittelbar mit den Herausforderungen konfrontiert sind, die der Prozess der Integration zwingend mit sich bringt.

Worte als Waffe

Jene, die nicht ausschließlich vom Hörensagen wissen, dass Integration nicht ohne Konflikt gelingen kann und ein langer, steiniger Weg ist, bergauf und im Regen, lehnen Begriffe wie „Leitkultur“ und „Anpassung“ allenfalls nur deswegen ab, weil diese von manchen Personen bewusst als Waffe eingesetzt werden. Mit der Absicht, Zuwanderer herabzuwürdigen, bloßzustellen und ihnen das Gefühl zu geben, unwillkommen zu sein sowie niemals als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger angesehen zu werden.

Mit der eigentlichen Bedeutung dieser Begriffe und der Notwendigkeit ihrer Umsetzung haben die wenigsten ein Problem – solang sie nicht (nur) staatlich definiert und getragen, sondern als Aufgabe der Zivilgesellschaft verstanden werden. Mit Maßnahmen wie beispielsweise der Teilhabe an kulturellen und sportlichen Veranstaltungen, der Aneignung von Bildung im Zuge des öffentlichen Schulsystems, der Ausübung von Ehrenämtern wie etwa der Freiwilligen Feuerwehr und mit der Identifikation mit Regeln und Gebräuchen, die ausnahmslos für alle gelten. Einfacher ausgedrückt: Österreicher kann werden, wer sich zu jenen Werten bekennt und sich diese zu eigen macht, die der Begriff Gemeinwesen umfasst.

Bring- und Holschuld

Diese auf „demokratischen Grundwerten“ basierenden „gemeinsamen Spielregeln“, um bei der Sprache des Bundeskanzlers zu bleiben, lassen sich durchaus mit dem Wort „Leitkultur“ beschreiben. Das hat der aus Syrien stammende deutsche Politikwissenschaftler Bassam Tibi schon vor Jahrzehnten getan. Und dass dieser Prozess eine Bring- und Holschuld zugleich ist, die Zugeständnisse der Aufnahmegesellschaft ebenso wie von Zuwanderern erfordert und als (wechselseitige) Anpassung bezeichnet werden kann, stellen höchstens „Radikale“ und „linke Träumer“ infrage – wenn mit „Radikalen“ Rechtsextreme gemeint sind, die gegen jede Form von Zuwanderung sind; und mit „linken Träumern“ Personen, die glauben, Integration benötige keinerlei Maßnahmen und Anstrengungen, sondern passiere von selbst.

Jener Teil der – zugewanderten oder autochthonen – Bevölkerung, der Migration nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Chance sieht und bereit ist, kulturelle sowie gesellschaftliche Entwicklungen zuzulassen und sie mitzugestalten, negiert diese Verantwortung jedenfalls nicht. Auch, weil solche Entwicklungen ohnehin nicht aufzuhalten sind. In einem Land, das auf – kontrollierte und regulierte – Zuwanderung angewiesen ist.

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