Replik

Die österreichische Selbstbezichtigung

Wer ist schuld am Erfolg von FPÖ und AfD? Immer die anderen. Die Liberalen! Die Medien! Die Demonstranten!

Am Freitag demonstrierten in Wien 35.000 Menschen, da jene Partei auf die Mehrheit zusteuert, über die sogar der chronisch korrekte ORF-Politanalyst Filzmaier durchblicken ließ, sie sei als „rechtsextrem“ einstufbar. Glaubt man anderen Kommentatoren, verdanken wir den FPÖ-Erfolgslauf jedoch nicht der Maschinerie patriotischer Angstproduktion, sondern ihren Gegnern.

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Ösi-Selbstbezichtigung, Teil eins: Franz Schandl („Rechtsaußen als Rechtsinnen“, 24. 1.) diagnostiziert ein „Multiplizieren rechten Irrsinns durch liberale Vervielfältigungsmaschinen“. Für die FPÖ-Werbung sei gar „die Kulturindustrie (Politik, Medien, Theater) zuständig.“ Mit ihrer Herabwürdigung demokratischer Kräfte gegenüber einem insgeheim womöglich bewunderten Rechtsextremismus erinnert eine solche altlinke wie neurechte Schuldzuweisung an die Dreißigerjahre. Für Schandl trägt „der Gesamtliberalismus inklusive linksgrünem Appendix“ die Verantwortung. Aha, die Liberalen woans! Logisch sind auch gleich die Medien schuld. Ihr Vergehen: Emporschreiben von Haider, Strache, Kickl. Haben Medien keine Berichterstattungspflicht? Wann wurden politische Gefährder je durch Totschweigen gebannt?

Bedrohung „rein theoretisch“

Das European Council on Foreign Relations sieht vor den EU-Wahlen in neun (von 27) Staaten rechtsextreme Parteien an der Spitze. Allein ideologische Bagatellisierer rügen deren Kontrahenten. Exzesse des rechten Rands sorgen sie weniger als die Artikulation der demokratischen Mitte. Rosemarie Schwaiger titelt: „Deutschland kann die AfD nicht einfach wegdemonstrieren“ (24. 1., gleiche Ausgabe). Eh, keine noch so machtvolle Kundgebung stoppt das Gedankengut der Schlechtmenschen. Doch daraus folgt Selbstbezichtigung, Teil zwei: Unschlüssige Rechts-Sympathisanten könnten sich „durch den moralischen Druck sogar angespornt fühlen“. Aha, die Demonstranten woans! Mit ihrer Moral, diesem toxischen Teufelszeug! Die „Machtergreifung der Rechtsextremen“ sei ja nur eine „rein theoretische Bedrohung“. Bei fast 30 % in Umfragen? Kickls Kollege Haimbuchner kündigte an, unter der neuen Kanzlerschaft sollten Journalisten „das Benehmen lernen“. Längst können sich FPÖ und AfD hier und dort über vorauseilenden Gehorsam von Benehmenslehrlingen freuen.

Keine Gefahr für die Demokratie? Der FPÖ-Chef skizziert offen seine Gewaltfantasien (will dem Präsidenten „den Schädel geraderichten“), plant die Abschaffung des Asyls („Wenn jemand tausend Mal Asyl sagt, haben wir es tausend Mal nicht gehört!“), Eingriffe in die Justiz („Den Teichtmeister, des schau ma uns noch einmal an, wenn ma was zum Reden haben!“) und das Ende der CO2-Maßnahmen („Klimakommunismus“, „Alles wieder rückgängig machen“). Er beharrt für einen Rachefeldzug auf längst widerlegter Corona-Desinformation, will EU-Recht dem nationalen unterordnen, ruft zu illegaler Polizeigewalt auf und bezeichnet zu unguter Letzt Orbán als Vorbild. Was müssen Demokratieverächter noch alles absondern, bevor man sie als Indiskutable aus zivilisierten Diskussionen und Koalitionen ausschließt?

„Die wirkliche Opposition sind die Medien“, räsonierte Steve Bannon, rechtsextremer Berater von Trump 2018. „Und die beste Art, mit ihnen umzugehen, ist, die ganze Zone mit Scheiße zu überfluten.“ Wer die Verantwortung konsequent bei den Kritikern der pseudopatriotischen FPÖ-Akademikerelite verortet, unterstützt genau jene, die Putin/Trump toll finden und unser System magyarisieren wollen – und trägt zur unappetitlichen Überschwemmung bei.

Martin Amanshauser (* 1968 in Salzburg) arbeitet als Autor und Reisejournalist (u. a. im „Schaufenster“ der „Presse“).

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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