Pop-Hype

The Last Dinner Party: Diese Band bedeutet Drama

The Last Dinner Party
The Last Dinner PartyLeonn Ward
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Sie sind gerade die Pop-Sensation Großbritanniens: Die fünf Frauen von The Last Dinner Party ziehen mit lustvollem Barock-Pop alle Blicke auf sich. Und zeigen nebenbei, wie man ganz ohne Social Media einen sagenhaften Aufstieg hinlegen kann.

Das letzte Abendmahl? Machen wir eine Dinner-Party daraus. Opulent gedeckte Festtafel, Obst in Haufen, Kerzenleuchter, puffige Roben, viel Lidschatten. Und dann, die Eskalation: in hohen Lederstiefeln auf dem Tischtuch tanzen, die Finger in die Torte graben. Irgendwann stehen fünf Frauen an einem Grab und singen hinab. In ein paar Szenen im Video zu „Nothing Matters“ nimmt die britische Band The Last Dinner Party ihren Namen wörtlich. Und auch sonst ist er Programm: Wo The Last Dinner Party draufsteht, da ist berauschende Dekadenz, stolze Theatralik und Lust an der Inszenierung drin.

Das Frauenquintett aus London erfährt gerade einen beachtlichen Hype. Erst im April des Vorjahres kam ihr erstes Lied heraus, die eingängige Indie-Rock-Hymne „Nothing Matters“ (darin heißt es: „And you can hold me like he held her / And I will fuck you like nothing matters“). Mit jedem weiteren Song stieg die Aufregung, die BBC kürte die Band in ihrer jährlichen Umfrage unter Kritikern und Musikbranchenexperten zum „Sound of 2024“ – attestierte The Last Dinner Party also prägende musikalische Wirkung. Und das alles, bevor am morgigen Freitag nun erst das erste Album erscheint. Dieses scheint die vorfreudig brodelnden Erwartungen darauf auch im Namen zu tragen: „Prelude to Ecstasy“ heißt es.

Mit Glitzer, Corsage und Puffärmeln

Und was macht diese Band nun aus? Da ist einmal ihre melodiöse, um Dramatik nicht verlegene, zwischen Art-Rock und Barock-Pop einzuordnende Musik, die sich – auch dank Abigail Morris‘ glamourös trällernder Stimme – im Gehörgang festkrallt. In den Liedern steigern sich stylish reduzierte Kompositionen regelmäßig zu Ekstase und Bombast. Und dann ist da die (im modernen Pop-Zirkus nicht minder bedeutsame) Erscheinung: In Tüll-Schichten und Corsagen gehüllt, zwischen schauerromantischem Gothic-Chic, viktorianischer Pracht und Glam-Rock-Extravaganz, senden The Last Dinner Party wohlige Impulse an die popkulturellen Rezeptoren von Millennials wie auch der Generation Z. Als spielte Wednesday Addams im Varieté Shakespeare, als gingen die weiß berüschten Schwestern aus Sofia Coppolas Film „Virgin Suicides“ mit Glitzer im Gesicht feiern.

Damit erinnern die fünf Musikerinnen an Pop-Artisten wie Florence + The Machine, die Sparks oder auch Amanda Palmer; sie selbst nennen David Bowie als ihren großen Helden. Sie lernten sich als Studentinnen in London kennen, zogen gemeinsam durch die Musikszene in Brixton, von Konzert zu Konzert, bevor sie beschlossen, selbst eine Band zu gründen. Ausgerechnet dann kamen die Lockdowns. The Last Dinner Party (damals nannten sie sich noch: The Dinner Party) probten in der Isolation, um dann schließlich wieder von Pub zu Club zu Kellerbühne zu ziehen. Diesmal standen sie selbst auf der Bühne, die beständig größer wurde: Abigail Morris am Mikrofon, Georgia Davies am Bass, Lizzie Mayland und Emily Roberts an der Gitarre, Aurora Nishevci am Keyboard. Live ist auch noch eine Schlagzeugerin dabei.

Als würde Wednesday Addams im Varieté-Theater Shakespeare spielen: The Last Dinner Party setzen modisch nicht auf Understatement.
Als würde Wednesday Addams im Varieté-Theater Shakespeare spielen: The Last Dinner Party setzen modisch nicht auf Understatement.Cal Mcintyre

Hype machte skeptisch: eine fabrizierte Girlgroup?

„Nothing Matters“ schlug dann kometenhaft ein. Auch die folgenden Singles wurden derart hymnisch aufgenommen, der Hype um die Band kam so schnell, dass es manche skeptisch machte: War das ein durchkalkulierter Erfolg, lanciert von einem findigen, mächtigen Management? Gar eine künstlich fabrizierte, zusammengecastete Girlgroup? Hinter solchen Spekulationen steckte wohl auch Neid: Nicht viele musikalische Newcomer kommen so schnell unter die Fittiche eines großen Managements wie The Last Dinner Party (die Firma Qprime betreut auch Größen wie Muse und Metallica) oder eines Produzenten wie James Ford (der auch mit den Arctic Monkeys und Depeche Mode arbeitet). Die meisten verbringen Jahre damit, um Bekanntheit zu kämpfen.

Die Gerüchte zeigen aber wohl auch, dass eine Frauenband in der Musikwelt besonders um ihre Glaubwürdigkeit kämpfen muss. Eine Ungleichheit, auf die The Last Dinner Party auch in ihren Texten hinweist. In „Caesar on a TV screen“ imaginiert sich Sängerin Morris etwa selbstbewusst in eine Männerrolle: „When I put on that suit I don’t have to stay mute. I can talk all the time, cause my shoulders are wide.“ Im Video dazu wird sie zur Imperatorin, die am Ende alle Schwerter auf sich zieht: „Auch du, Brutus?“

Es geht auch ohne Tiktok

Der Erfolg kam für The Last Dinner Party jedenfalls nicht über den mittlerweile üblichen Weg – durch einen Social-Media-Hit –, sondern auf die gute, alte, dreckige Art: Mit unzähligen Konzerten spielten sich die fünf in die Herzen einer treuen Anhängerschaft, die ihre Texte mitsang und sich auch kleidungstechnisch in die Kostüm-Show der Band einfügte, bevor auch nur eine Aufnahme erschienen war. Das entging irgendwann der Musikpresse nicht mehr. Als die großen britischen Tageszeitungen ausladende Porträts über die Band brachten, hatte sie auf Instagram gerade einmal 8000 Follower.

Selbstzerstörerische Lust: „Bite me again“

Das Album „Prelude to Ecstasy“ muss nun hohen Erwartungen gerecht werden. Es startet selbstbewusst, mit einem orchestralen „Prelude“, in dem die Becken nur so scheppern und die Harfe nur so glitzert. Diese Ouvertüre gleitet gleichsam in den eingängigen Song-Reigen. Verzerrte Gitarren treffen auf zarte Chöre. In den Texten vermählt sich dunkle Poesie mit den modernen Verletzlichkeiten junger Frauen. Es geht oft um Begehren, um weibliche Selbstaufgabe, um verbotene Früchte, süße Sünde. „I wish I didn’t want you“, beginnt die Ballade „On your side“, die in ihrer Metaphorik wie schon Olivia Rodrigo im ihrem Lied „Vampire“ einen Blutsauger beschwört. Nur dass die Sängerin sich aus dieser destruktiven Beziehung nicht lösen will, im Gegenteil: „Bite me again.“

Im biblisch inspirierten „My Lady of Mercy“ kommt es zur übersteigerten, erotisch aufgeladenen Madonnen-Verehrung – eine Verarbeitung ihrer katholischen Erziehung, sagte Sängerin Morris. In „Feminine Urge“ schraubt sich ihre Stimme lustvoll in die Höhe, während eine Ballerina unter dem Gewicht der Welt zusammenbricht. In „Portrait of a Dead Girl“ wird wieder die selbstzerstörerische Liebe beschworen: „I’d die for you, no questions asked.“

In Wien spielten The Last Dinner Party im Vorjahr als Vorband von Hozier, ihre aktuelle Tour führt sie nun Ende Februar in die Grelle Forelle. Das Konzert ist seit Wochen ausverkauft. Wer rechtzeitig Karten ergattert hat, kann sich glücklich schätzen. Das dürfte eines jener frühen, intimen Club-Konzerte einer Band werden, die man bald wohl nur noch auf viel größeren Bühnen erleben wird.

The Last Dinner Party. „Prelude to Ecstasy“ erscheint am 2. Februar 2024 (Universal Music).

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