Und übrigens

Florenz darf eine Hure sein, nur bitte keine Kurtisane

Voll schön finden viele Florenz. Schön, aber viel zu voll, klagen andere.
Voll schön finden viele Florenz. Schön, aber viel zu voll, klagen andere.Getty
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Die Direktorin der Galleria dell‘Accademia in Florenz hat den Massentourismus mit kräftigen Worten gegeißelt. Aber wohin soll die Reise gehen?

„Wenn eine Stadt erst einmal zur Hure geworden ist, ist es für sie schwierig, wieder Jungfrau zu werden“: Also sprach vorige Woche Cecilie Hollberg, Direktorin der Galleria dell‘Accademia in Florenz, jenes Museums, das Michelangelos David hütet. Sie geißelte damit, dass die Stadtregierung den Touristenmassen keinen Einhalt gebiete. Im Palazzo Vecchio stellte man sich schützend vor die Florentiner, die gar nicht gemeint, aber angeblich gekränkt wurden – von einer Deutschen noch dazu, die nur Gastrecht hat. „Hart und beleidigend“ fand der Bürgermeister ihre Worte, „irrsinnig“ seine Vize, „schändlich“ das frühere Stadtoberhaupt, Ex-Premier Renzi, der die Geschmähte im Senat vorladen will. Auch Kulturminister Sangiuliano erwägt Schritte. Die regierenden Postfaschisten wollen ja eh alle ausländischen Kulturmanager durch solche mit italienischem Blut ersetzen.

Dabei ist Hollbergs Invektive weniger derb als antiquiert: Die „meretrice“, besser als „Dirne“ übersetzt, führt uns zurück zu Dantes Inferno, oder zu den Predigten Savonarolas, der einen korrupten Papst als „Hure Babylon“ verdammte, was ihn auf den Scheiterhaufen brachte. Später hat man ihm recht gegeben. Sollen wir auch Hollbergs Schmähung preisen?

Sie platzierte sie – leicht absurd – auf einer Pressekonferenz, wo sie stolz einen Besucherrekord für ihr Museum verkündete. Aber dort sei ja alles sauber und geordnet. Wenn sie aber auf die Straße tritt, fände sie nur Schmutz, ambulante Händler und nächtliche Trunkenbolde. Keine Handwerker mehr im Centro Storico, nur noch Souvenirläden. Deshalb müsse man eine „absolute Bremse“ ziehen.

Viele Florentiner sehen das ähnlich, wie auch Salzburger, Amsterdamer und Prager. Aber wohin wollen sie zurück? In selige Zeiten, als nur die privilegiertesten Europäer einer Bildungsreise frönen konnten? Oder reichen ihnen ein paar Jahrzehnte retour, als China, Indien oder Brasilien noch Armenhäuser waren? Es könnte uns ja auch freuen, dass heute so viele die Schätze der Menschheit mit eigenen Augen sehen können. Dass so viele geduldig Schlange stehen, um Botticellis Venus oder die Domkuppel von innen zu bestaunen. Und auch nicht wenige der Aura wegen zum originalen David pilgern, statt sich mit der Kopie auf der Piazza della Signoria zu begnügen. Es soll sogar ein paar weichherzige Weltbürger geben, denen all dies Tränen des Jubels in die Augen treibt.

Will man die Entwicklung von Altstädten staatlich steuern, wie in einer Diktatur mit Planwirtschaft? Eine freie Kommune hat wenig Spielraum: illegale Vermietungen eindämmen, oder die Tickets für Top-Spots einschränken und auf sonst übersehene Kostbarkeiten umlenken. Man kann auch noch kräftiger in die Richtung steuern, die der Markt von selbst einschlägt: alles noch teurer – Edeltourismus. Aber dann wird die Stadt eben zur Edelhure, zur Kurtisane. Die Jungen bleiben dann fort, sehen weder David noch Venus, bis ihnen graue Haare wachsen. Wollen wir das? Übrigens: Sie gehen in Florenz nicht zu McDonalds, sondern warten brav vor den typischen Läden, die Lampredotto verkaufen, mit Labmagen vom Rind gefüllte Semmeln. Köstlich für den, der‘s mag. Wer nicht, soll eben an andere Orte reisen.

Email an: karl.gaulhofer@diepresse.com

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