Naher Osten

Neue Schlacht in Gaza statt Geisel-Deal

Die jüngsten Forderungen der Terrororganisation Hamas im Ringen um eine Feuerpause und um die Freilassungen der Geiseln verwarf Netanjahu rundheraus als „bizarr“.
Die jüngsten Forderungen der Terrororganisation Hamas im Ringen um eine Feuerpause und um die Freilassungen der Geiseln verwarf Netanjahu rundheraus als „bizarr“.Reuters / Susana Vera
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Premier Netanjahu bezeichnet Hamas-Forderungen als „bizarr“ und gibt den Befehl, eine Operation im Grenzort Rafah vorzubereiten. Ein Dämpfer auch für Blinkens Vermittlungstour.

Als Israels Premierminister Benjamin Netanjahu am Mittwochabend vor die Kameras trat, zeigte er sich siegessicher und auch kompromisslos. Die jüngsten Forderungen der Terrororganisation Hamas im Ringen um eine Feuerpause und um die Freilassungen der Geiseln verwarf Netanjahu rundheraus als „bizarr“. Würde Israel auf die Bedingungen der Terroristen eingehen, würde das nicht zu einer Rückkehr der Geiseln führen, sondern nur zu neuen Massakern, erklärte er seinen Landsleuten in der Ansprache.

Netanjahu behauptete außerdem, ein vollständiger Sieg über die Hamas sei in Reichweite und nur noch eine Frage von Monaten. Statt einer Waffenruhe kündigte Israels Premier daher an, noch weiter in den Süden des Gazastreifens vordringen zu wollen. Er habe den Befehl gegeben, einen Einsatz in Rafah „vorzubereiten“, wo der gleichnamige Grenzübergang nach Ägypten führt. Der Zufluchtsort für viele Vertriebene aus dem Norden Gazas war bereits in der Vergangenheit Ziel israelischer Bombardements.

Die Hamas-Bedingungen und deren forsche Zurückweisung durch Netanjahu sind ein Rückschlag für Antony Blinken und dessen Bemühungen um die Vermittlungen einer Feuerpause. Der US-Außenminister ist derzeit auf seiner fünften Nahost-Reise seit Ausbruch des Gazakriegs.

Blinken in Katar

Als Blinken in Katar eintraf, wusste er noch nichts von den Forderungen der Hamas im Ringen um eine Feuerpause. Erst in seinem Gespräch mit dem katarischen Ministerpräsidenten Mohammed bin Abdulrahman bin Jassim al-Thani erfuhr Blinken davon. Die amerikanische Regierung sei von der Antwort der Hamas überrascht worden, berichtete die „New York Times“. Zum Teil lag das daran, dass Vermittler Katar die Stellungnahme der Hamas selbst erst kurz vor Blinkens Besuch erhalten hatte.

Die Hamas verlangte offenbar eine Waffenruhe von 135 Tagen im Gazastreifen. In drei Phasen von jeweils 45 Tagen sollten alle verbliebenen Geiseln im Gegenzug für die Entlassung palästinensischer Gefangener freikommen. Zudem sollte das israelische Militär aus dem Gazastreifen abziehen und eine Vereinbarung zur Beendigung des seit Anfang Oktober währenden Krieges erzielt werden. Die Hamas verlangt laut al-Jazeera auch, dass fünf Garantie-Mächte die Feuerpause zusammen mit der UNO überwachen: Katar, Ägypten, die Türkei, Russland und die USA.

Blinken konnte das Schreiben der Hamas mit seinen Beratern nur kurz überfliegen und an das Weiße Haus weiterleiten, bevor er mit Katars Premier al-Thani vor die Kameras treten musste. Es gebe noch viel zu tun, sagte der US-Außenminister. Das merkte Blinken auch später bei seinen Gesprächen in Israel.

40-tägige Feuerpause erhofft

Blinkens Gastgeber Katar hatte im November eine erste Feuerpause vermittelt, die nur eine Woche hielt. Diesmal streben Katar und Ägypten nach Medienberichten eine mindestens 40-tägige Waffenruhe mit Freilassung der zivilen Hamas-Geiseln an. Anschließend soll die Kampfpause verlängert werden, um die Freilassung weiterer Geiseln und palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnissen zu ermöglichen. Gleichzeitig sollen die Zivilisten im Gazastreifen mehr Versorgungsgüter erhalten.

Regionale Mächte spielen bei den Gesprächen eine immer wichtigere Rolle. Neben Katar und Ägypten sei das Saudiarabien, sagt Thomas Demmelhuber, Nahost-Experte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zur „Presse“. Diese drei Staaten seien „entscheidend in dieser Vermittlung“, stellt Demmelhuber fest. Auch die USA hätten dies inzwischen erkannt. Amerika bleibe zwar im Spiel: „Allerdings sehe ich die US-Diplomatie nur noch in einer koordinierenden Funktion mit wenig direkter Einflussmöglichkeit.“

Washington ist bei den Verhandlungen mit der Hamas auf Diplomaten und Geheimdienstler aus Katar und Ägypten angewiesen. Dazu kommt ein Vertrauensverlust der USA durch die klare Parteinahme der Biden-Regierung für Israel.

Das „Arab Barometer“, ein Projekt arabischer und amerikanischer Demoskopen, zeigt den Trend am Beispiel Tunesien. Vor Kriegsausbruch am 7. Oktober sahen demnach 40 Prozent der Tunesier die USA grundsätzlich positiv – Ende Oktober war die Zustimmung zu Amerika auf zehn Prozent gefallen.

Auch Außenminister Blinken musste vor einigen Tagen im Gespräch mit dem saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman feststellen, dass er mit seinem Wunsch der Amerikaner nach einem Friedensschluss zwischen Saudis und Israel nicht so einfach durchdringt: Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel komme für Saudiarabien nur in Frage, wenn Israel vorher der Gründung eines Palästinenserstaates zustimme, bekam Blinken zu hören. Das war eine Abfuhr für den US-Minister, weil Israels Ministerpräsident Netanjahu – zumindest in absehbarer Zeit – keinen Palästinenserstaat will.

Strategische Umorientierung

Schon vor dem Gazakrieg hatten die USA im Nahen Osten viel politisches Kapital verspielt. Die Supermacht hatte unter Präsident Obama vor mehr als zehn Jahren eine strategische Umorientierung auf die Rivalität mit China eingeleitet und ihr Engagement in Nahost zurückgefahren. „Diese strategische Vernachlässigung“, sagt Demmelhuber, „zieht sich wie ein roter Faden durch alle drei Präsidentschaften Obama, Trump, Biden.“

Gedenken an die Terroropfer. In Paris fand eine Zeremonie für Franzosen statt, die am 7. Oktober ermordet wurden.
Gedenken an die Terroropfer. In Paris fand eine Zeremonie für Franzosen statt, die am 7. Oktober ermordet wurden.AFP / Gonzalo Fuentes

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