Bevölkerungsgeografie

Migranten helfen Daheimgebliebenen, krisenfester zu werden

Das Geld der ausgewanderten Thailänderinnen und Thailänder hilft ihren Familien, sich an schlechter werdende Umweltbedingungen anzupassen.
Das Geld der ausgewanderten Thailänderinnen und Thailänder hilft ihren Familien, sich an schlechter werdende Umweltbedingungen anzupassen.Uni Wien
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Durch Dürre, Überflutungen und Stürme steigt weltweit die Anzahl von Menschen, die vorübergehend gezwungen sind, ihren Wohnort zu verlassen. Prognosen zum Ausmaß von „Klimaflucht-Bewegungen“ sind allerdings mit Vorsicht zu genießen.

Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst der Klimaflucht. Es wird begleitet von mitunter apokalyptischen Zahlen. 216 Mio. Menschen, so Prognosen der Weltbank, könnten durch die Folgen der Erderwärmung bis 2050 gezwungen werden, von ihrem Wohnort zu fliehen. Laut Internal Displacement Monitoring Centre machten Extremwetterereignisse wie Dürren, Überflutungen oder Waldbrände 2022 32,6 Mio. Menschen zumindest vorübergehend zu Binnenflüchtlingen. Die höchste Zahl innerhalb des vergangenen Jahrzehnts.

Einer, der abseits von Katastrophenszenarien denkt, ist Patrick Sakdapolrak. Der Professor für Bevölkerungsgeografie und Demografie der Uni Wien hat mit seinem fünfköpfigen Team Fallstudien im landwirtschaftlich geprägten Norden Thailands gemacht, um mehr über Migrationsmotive zu erfahren. Denn die Entscheidung, seine Heimat zu verlassen, ist höchst komplex. Und einen Automatismus zwischen ökologischem Wandel und Migration gibt es nicht, ebenso entscheidend sind wirtschaftliche, soziale und politische Kontexte. Insofern ist umstritten, wann tatsächlich von „Klimaflucht“ gesprochen werden kann.

„Wir sind den Menschen gefolgt und haben untersucht, wie sich die Migration, die sowieso stattfindet, auf die Anpassungsfähigkeit von Haushalten und Gemeinden auswirkt“, sagt er. Dazu befragte sein Team 1085 Haushalte, 1625 Inlandsmigrantinnen und -migranten, die nach Bangkok zogen, sowie 301 Thailänderinnen und Thailänder, die nach Deutschland (v. a. Heiratsmigration) oder Singapur (v. a. Arbeitsmigration/Bausektor) auswanderten. Zusätzlich analysierten die Forschenden Netzwerke, die dadurch zwischen den Ländern entstanden.

Viele Thailänder arbeiten in Singapur im Bausektor. Sie leben hier relativ abgesondert von der restlichen Gesellschaft
Viele Thailänder arbeiten in Singapur im Bausektor. Sie leben hier relativ abgesondert von der restlichen GesellschaftUni Wien

Sie verbrachten teilweise ein Jahr lang in den Dörfern und sprachen in den Zielgebieten mit Migrantinnen und Migranten, um zu verstehen, wie diese leben und arbeiten, wie sie die Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion aufrechterhalten und wie viel Geld sie zurückschicken. Auf Thailand ist die Wahl gefallen, weil das Land mehreren Krisen ausgesetzt sei und sich aufgrund der vielfältigen Migration ein Vergleich zwischen verschiedenen Szenarien angebietet, so Sakdapolrak.

„Der Klimawandel wird schon als ein Grund für Migration genannt, aber in dem Cluster aus Gründen spielt er eine untergeordnete Rolle“, resümiert er die Ergebnisse der Studie, die kürzlich im Journal Pnas publiziert wurden. „Einkommensgenerierung ist etwa viel wichtiger. Durch den Strukturwandel und durch verbesserte Bildungsmöglichkeiten ist es ganz natürlich, ähnlich wie bei uns, dass jüngere Generationen in die Städte gehen.“

Geldflüsse fördern

Singapur, das in vielen Sektoren von zugewanderten Arbeitskräften abhängig ist, hat eines der restriktivsten Migrationssysteme weltweit und betreibt ein Migrationsmanagement, das dem Inselstaat ermöglicht, innerhalb kürzester Zeit die Anzahl von Migrantinnen und Migranten nach Herkunftsland und Sektor zu steuern. Sakdapolrak: „Arbeitsmigranten werden dabei immer nur temporär geduldet, und es gibt keine Möglichkeit, Familienmitglieder nachzuholen. Sie leben relativ abgesondert von der restlichen Gesellschaft.“ Das führe dazu, dass ihr Fokus sehr auf ihre Rückkehr gerichtet ist. Im Gegensatz dazu sind viele Thailänderinnen in Deutschland verheiratet und gründen hier Familien, was wiederum die Bedeutung der alten Heimat verändert.

»Der Geldtransfer von Migranten in ihre Herkunftsländer übersteigt die Entwicklungshilfe.«

Patrick Sakdapolrak,

Bevölkerungsgeograf

Unterm Strich zeigte sich, dass internationale Migrantinnen und Migranten mehr Geld zurückschicken können. „Der Geldtransfer in ihre Herkunftsländer übersteigt bei Weitem die offizielle Entwicklungshilfe. Viele Haushalte sind davon abhängig“, erklärt Sakdapolrak. Die Zuschüsse helfen den Daheimgebliebenen bei der Anpassung an schlechte Umweltbedingungen (etwa durch Diversifizierung der Landwirtschaft). „Migration führt zu Vernetzung unterschiedlicher Regionen, das bringt die Zielgebiete und die Situation von Migranten, Migrantinnen und Menschen auf der Flucht dort in die Diskussion ein.“ Nicht zuletzt beeinflussen deren Lebens- und Arbeitsbedingungen die Ressourcen in ihrem Netzwerk.

Die Perspektive steht konträr zum dominanten Diskurs in Österreich, wonach Zuwendungen für die Familie im Herkunftsland tendenziell verhindert werden sollen. Doch das Potenzial von Migration für die Unterstützung von Menschen in Krisenregionen zu nutzen wäre Sakdapolrak zufolge eine Chance für mehr Klimagerechtigkeit.

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