Der ökonomische Blick

Es werde Licht: EZB liefert neue Daten zur Vermögensverteilung

Die Datenlage zur Vermögensverteilung bessert sich laufend. Dazu tragen auch die frisch veröffentlichten Daten der Europäischen Zentralbank bei.
Die Datenlage zur Vermögensverteilung bessert sich laufend. Dazu tragen auch die frisch veröffentlichten Daten der Europäischen Zentralbank bei.imago stock&people
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Besonders im Bereich der Vermögensverteilung tappte die Forschung lange Zeit im Dunkeln. Die Datenlage bessert sich aber laufend und bringt eine gravierende Vermögenskonzentration zum Vorschein.

Das Wahljahr 2024 ist noch jung, doch die Wahlkampfthemen werden schon platziert. Viele politische Forderungen fokussieren auf die sozialen Lebenslagen der Bevölkerung vor dem Hintergrund mehrfacher Krisen vom Klima bis zur Teuerung. Eine evidenzbasierte Diskussion wird in Österreich aber oft durch verzögerte oder mangelnde Datenverfügbarkeit erschwert. Besonders im Bereich der Vermögensverteilung tappte die Forschung lange Zeit im Dunkeln, die Datenlage bessert sich aber laufend und bringt eine gravierende Vermögenskonzentration zum Vorschein. Dazu tragen auch die frisch veröffentlichten Daten der Europäischen Zentralbank (EZB) bei.

Was ist „Der ökonomische Blick“?

Jede Woche gestaltet die Nationalökonomische Gesellschaft (NOeG) in Kooperation mit der „Presse“ einen Blogbeitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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Tappen im Dunkeln

Die Verteilung von Einkommen ist in Österreich gut erforscht, denn es gibt Steuerstatistiken, Erhebungen in Haushalten und Unternehmen, makroökonomische Daten und lange Zeitreihen. Das ermöglicht wissenschaftliche Erkenntnisse und Ableitungen für die wirtschaftspolitische Debatte. Bei Vermögensdaten war lange das Gegenteil der Fall, denn Daten aus der Steuerverwaltung gibt es mangels Besteuerung nicht, aggregierte Daten nur begrenzt und Haushaltsbefragungen erst seit einigen Jahren.

Die EZB hat mit der Vermögenserhebung HFCS seit 2010 eine deutliche Verbesserung geschaffen, allerdings mit dem bekannten Problem, dass die ganz großen Vermögen darin nicht erfasst werden. Sehr Reiche geraten entweder erst gar nicht in die Befragungsstichprobe oder verweigern die Teilnahme an der freiwilligen Erhebung. Trotz vielfacher Zurufe aus der Wissenschaft wurde in Österreich im Gegensatz zu anderen Ländern bislang auf das sogenannte Oversampling, also sehr reiche Haushalte überproportional in die Stichprobe zu ziehen, verzichtet. In der Forschung behilft man sich deshalb mit statistisch erprobten Verfahren und journalistischen Reichenlisten, um die fehlende Vermögensspitze hinzu zu schätzen. Die Resultate sind eindeutig: Die Vermögensungleichheit wird in den Befragungsdaten massiv unterschätzt.

EZB bringt mehr Licht ins Dunkel

Die von den HFCS-Experten der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) miterarbeiteten und Anfang Jänner von der EZB veröffentlichten „Distributional Wealth Accounts“ schließen wichtige Lücken. Dabei werden die fehlenden Reichen zu den Befragungsdaten hinzu geschätzt und mit den Makrodaten aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verknüpft. Das ermöglicht nicht nur einen umfassenden Blick auf die Verteilung des gesamten Privatvermögens der Volkswirtschaft, sondern bietet eine lange Zeitreihe inklusive Quartalswerten. So können auch Trends in der Ungleichheit sowie Auswirkungen von Preiseffekten beobachtet werden. Dies ist ein enormer Gewinn für die interessierte Öffentlichkeit, denn bislang haben die offiziellen Vermögensstatistiken der EZB die Ungleichheit deutlich unterschätzt und waren nicht über längere Zeiträume miteinander vergleichbar. Zudem ist der Zugang zu den Ergebnissen über eine Onlineplattform frei verfügbar.

Die Ergebnisse selbst sind bemerkenswert: Österreich gehört zu nur drei Ländern der Eurozone, in denen die reichsten fünf Prozent mehr Nettovermögen besitzen als die ganze untere Hälfte. Die EZB weist hierzulande einen Vermögensanteil der Top fünf Prozent von rund 53 Prozent aus. Über die Dauer der Zeitreihe, den turbulenten Jahren 2010 bis 2023, ist dieser Wert sogar noch leicht angestiegen. Damit wies Österreich über ein Jahrzehnt lang die höchste Vermögensungleichheit der Eurozone auf und wurde zuletzt nur von Lettland übertroffen. An der Spitze liegt Österreich bei der Konzentration von Unternehmensvermögen. Insgesamt beläuft sich das Privatvermögen in Österreich laut den neuen Daten auf rund 2000 Milliarden Euro.

Verteilungsspitze weiterhin verborgen

Trotzdem bleibt die EZB sparsam mit den Daten, die sie der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Mit der neuen Methode wären noch umfassendere Einblicke in die oberste Verteilungsspitze möglich, wie sie etwa die US-amerikanische Zentralbank Fed veröffentlicht. Deren Ergebnisse legen nahe, dass die Vermögenskonzentration bei den Top 1 Prozent und weiter bei den Top 0,1 Prozent noch deutlich ansteigt. Für detaillierte Analysen sind die Mikrodaten aus der regelmäßigen Vermögenserhebung HFCS somit weiterhin unverzichtbar. Es bleibt zu hoffen, dass die EZB das Feedback zu den neuen Daten nutzt, um ihre Schätzungen auch über den obersten Verteilungsrand zu veröffentlichen. Denn ein komplettes Bild der Vermögensverteilung inklusive Überreichtum bei den Top 1 Prozent ist für die Verteilungspolitik unschätzbar wichtig.

Die jüngsten EZB-Daten bestätigen zum Teil Bekanntes, sind jedoch fundierter und umfassender: Österreich weist eine starke Konzentration der Vermögen bei den reichsten fünf Prozent auf. Die statistische Ungleichheit scheint dabei weniger problematisch als die Folgen dieser Vermögenskonzentration auf Gesellschaft, Demokratie und Umwelt. Die politische Debatte darüber kann nun auf die neuen Daten zugreifen und über wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen eine fundierte Diskussion führen.

Die Autoren

Patrick Mokre
Patrick MokreJudith Derndorfer/beigestellt

Patrick Mokre ist Ökonom in der Arbeiterkammer Wien und Gastforscher am Forschungsinstitut Economics of Inequality der WU Wien

Matthias Schnetzer
Matthias SchnetzerLukas Beck/beigestellt

Matthias Schnetzer ist Ökonom in der Arbeiterkammer Wien und Lektor für Wirtschaftspolitik an der WU Wien.

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