Gastkommentar

Wie das Gemetzel in der Ukraine zu beenden wäre

Kann man aus der Geschichte lernen? Manche bezweifeln das. Dennoch lohnt sich ein Vergleich mit früheren Kriegen.

Lew Nikolajewitsch Tolstoi schreibt von Krieg und Frieden. Hieße es nicht besser Krieg oder Frieden? Der Krieg in der Ukraine beschäftigt uns schon seit zwei Jahren – eigentlich seit zehn Jahren, seit Russland völkerrechtswidrig die Krim annektiert hat. Landauf, landab diskutieren Stammtische, Amateurhistoriker und auch Fachleute, die die Länder aus eigener Anschauung kennen, die wirtschaftliche und militärische Lage sowie mögliche Ausstiegsszenarien aus diesem sinn­losen Gemetzel und der gänzlich unnötigen Zerstörung.

Stimmt das Sprichwort „Wenn sich zwei streiten, freut sich der Dritte“? Aber wer außer der Rüstungsindustrie oder einigen Kriegs­gewinnlern könnte sich über einen so sinnlosen Krieg freuen? Wie viel vergeudete Energie, die besser im Auf – und Wiederaufbau tragfähiger Volkswirtschaften eingesetzt wäre.

Wann enden Kriege? Darüber hat der Historiker Jörn Leonhard ein Buch geschrieben „Über Kriege und wie man sie beendet“. Zum Beispiel enden sie durch eine militärische Niederlage – siehe Erster Weltkrieg. Erkenntnis daraus: den Unterlegenen nicht demütigen. Demokratien scheinen flexibler zu sein als Autokratien – schließlich implodierten in der Folge des Ersten Weltkriegs drei große Reiche: die Donaumonarchie, das russische Zarenreich und das deutsche Kaiserreich. Oder Kriege enden durch beiderseitige Erschöpfung, wie 1648 nach 30 Jahren verheerendem Krieg in Mitteleuropa.

Bis zum „Endsieg“

Die Kompromissbereitschaft einer Konfliktpartei, ein Appeasement wie in den 1930er-Jahren wurde von Hitler prompt als Schwäche ausgelegt und fachte seine Lust zu Eroberungen nur an. Putin unterstellt man Ähnliches. Das Absurde ist: Je länger ein Krieg dauert, je mehr Opfer er fordert, desto komplizierter und widersprüchlicher gestaltet sich der Ausgang. Man fühlt sich verpflichtet, im Sinne der Opfer bis zum vermeintlichen „Endsieg“ weiterzukämpfen.

Kann man aus der Geschichte lernen? Manche bezweifeln das. Dennoch lohnt ein Vergleich mit früheren Kriegen. Mit gewaltigen Anstrengungen (Umrüstung auf Kriegswirtschaft) und Opfern haben sich die Ukraine und Russland in ihren Positionen festgefahren: Kiew verlangt eine völlige Wiederherstellung ihres anerkannten Territoriums – siehe auch das Budapester Memorandum von 1994, in dem Russland als Gegenleistung für die Auslieferung aller Kernwaffen die Integrität der Ukraine garantiert. Doch ein international besiegeltes Abkommen scheint wenig Wert zu haben.

Russischer Phantomschmerz

Russland, eigentlich sein Regime, sieht sich entgegen aller Fakten vom Westen bedroht. Nach dem Zerfall der Sowjetunion stimuliert ein seltsames Geschichtsbild eine Art Phantomschmerz in Russland.

Man kann kämpfen und verhandeln. Zu verhandeln beginnen wird erst eine Seite, wenn sie sich in einer gefestigten Position befindet. In unzähligen früheren Kriegen geht eine Feuerpause in einen Waffenstillstand über. Dass es danach zu einem „eingefrorenen Krieg“ kommt, hat es immer wieder gegeben.

Sollte nicht mehr geschossen werden, kann sich mit massiver westlicher Hilfe – einer Art Marshallplan – die Überlegenheit einer demokratischen marktwirtschaftlichen Ukraine zeigen. Das fürchtet Putin – und er ist bereit, bis zur US-Präsidentenwahl weiter unzählige Menschenleben zu opfern. Auch braucht er propagandistische Erfolge für seine eigene „Präsidentenwahl“. Bis dahin und danach muss der Westen, muss vor allem Europa die Ukraine entschlossen unterstützen.

Wer kann als glaubwürdiger Vermittler mit entsprechender Autorität fungieren? China? die UNO? Der Papst? Der österreichische Diplomat Martin Sajdik hat in jahrelanger, beharrlicher Kleinarbeit im Rahmen der OSZE im Sinne der hinfälligen Minsker Abkommen viele Menschenleben gerettet. Ein Mediator würde den Kontrahenten sagen: „Leute, setzt euch zusammen. Beendet das sinnlose Morden. Ein Menschenleben ist wertvoller als jede vermeintliche historische Sendung.“

Wie wäre die Idee eines Kondominiums in der östlichen Ukraine und der Krim? Die Gebiete wurden zwar mit Pomp in das russische Staatsgebiet eingegliedert. Russland zahlt jährlich geschätzte sechs Milliarden Euro für den Wiederaufbau der zerstörten, entvölkerten, international nicht anerkannten „Volksrepubliken“. Das Beste aus beiden Welten wäre etwas mehr als eine Autonomie. Beide Seiten müssten allerdings ein Stück nachgeben.

Unproduktive Machtkämpfe

Internationale Beispiele gibt es – beispielsweise der einstige anglo-ägyptische Sudan, St. Martin in der Karibik teilen sich Frankreich und die Niederlande, der französische Präsident und der Bischof von Urgell sind die Staatsoberhäupter von Andorra.

Interne Machtkämpfe und Eifersüchteleien in den eigenen Reihen der Ukraine, die die russische Propaganda genüsslich verbreitet, sind völlig unproduktiv. Ob es nicht gescheiter ist, zu reden als sich über die Medien Unfreundlichkeiten auszurichten? Winston Churchill (er wurde vor 150 Jahren geboren) führte sein Land zwar durch den Zweiten Weltkrieg, wiedergewählt wurde er aber nicht.

Putin ist angeblich ein guter Schachspieler und kalkuliert sehr genau: Oft ergibt eine gute Partie schlussendlich doch nur ein Patt. Nur sterben bei dem alten Kriegsspiel keine Menschen.

Der Autor

Dr. Sebastian Zimmel, (* 1948), war Jurist in der verstaatlichten Industrie, danach selbständiger Unternehmer. Seit seiner Pensionierung ist er karitativ auch in der Ukraine-Hilfe engagiert. Vor kurzem erschien von ihm das Buch „Habsburg, Kreisky, Davidoff – Sie alle habe ich gesehen.“

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