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Die EZB steckt in der Schuldenfalle – und wir alle mit ihr

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Oliver Grimm
"Die Presse"-Korrespondent in Brüssel

Oliver Grimm
 

Guten Morgen,

mittlerweile pfeifen es die Spatzen von fast allen Dächern Europas: die nächsten Jahre werden nicht weniger rau als die jüngsten, manche sprechen von einem Jahrzehnt der Konflikte, der deutsche Verteidigungsminister, Boris Pistorius (SPD), warnt davor, dass Russland innert der nächsten fünf bis acht Jahre NATO-Staaten angreifen könnte. Die Friedensdividende nach dem Fall der Berliner Mauer ist aufgezehrt, Europa muss aufrüsten. Das tut es auch. Bloß zeigt ein Blick in den am Dienstag veröffentlichten Bericht „The Military Balance“ des Londoner International Institute for Strategic Studies: die bisherigen Ausgaben werden bei Weitem nicht reichen, um Wladimir Putin von seinen etwaigen Überfallsfantasien abzubringen. „Obwohl mehrere europäische Staaten mehr ausgeben, wird dieses zusätzliche Geld oft verwendet, um alte Probleme zu lösen, und wird einigermaßen von der hohen Inflation erodiert“, warnt Robert Wall, der leitende Redakteur des Berichts, in seiner Einleitung.

Seit einigen Monaten macht eine neue Idee die Runde in Brüsseler Bürokorridoren und nationalen Staatskanzleien: EU-Verteidigungsanleihen. Kaja Kallas hat vor Weihnachten so etwas in den Raum geworfen – und damit Frankreichs Präsidenten, Emmanuel Macron, ein Stichwort geliefert: „Die estnische Premierministerin, deren Land für seine wirtschaftliche Frugalität bekannt ist, hatte den Mut vorzuschlagen, dass Eurobonds für Verteidigungsfragen in der Ukraine begeben werden sollten“, sagte Macron beim Weltwirtschaftsforum in Davos.

Eine bestechend klingende Idee: Europa hat eine existenzielle Bedrohung, gegen die es die Kräfte bündelt und Geld zusammenlegt. Der frühere deutsche Europastaatssekretär, Michael Roth (SPD), hat das in der aktuellen „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ ebenfalls bejaht. Am Dienstag traf Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, zu einem Arbeitsbesuch in Paris bei Macron ein. Man darf davon ausgehen, dass der Krieg in der Ukraine und die Frage, wie die Union darauf finanziell reagieren soll, das Hauptthema war.

Robin Brooks kann diesen Gedankenspielen über neue gemeinsame EU-Schulden nach dem Vorbild des Corona-Aufbaufonds „Next Generation Europe“ wenig abgewinnen. „Diese ganze Unterhaltung ist nur ein Symptom dafür, dass diese Länder keinen fiskalischen Spielraum mehr haben“, sagte mir der Wirtschaftsforscher, der bis vor Kurzem Chefökonom des International Institute of Finance war, also des Weltverbandes der Finanzindustrie, anfangs dieser Woche.

Mit „diesen Länder“ spielt er auf jene von Frankreich angeführten Mitgliedstaaten des Mittelmeerraumes an, die allesamt ziemlich hohe Staatsschuldenquoten mit sich schleppen. Hohe Staatsschuldenquote: das müsste eigentlich, nach dem 1:1 der Preisbildung an den Finanzmärkten, zu höheren Renditen für Staatsanleihen Italiens, Spaniens, Griechenlands, Portugals, Frankreichs führen. Denn wer ein höheres Risiko des Zahlungsausfalls eines Landes auf sich nimmt, der darf dafür auch einen höheren Preis fordern.

Bloß spiegeln die Renditen der Anleihen in den Eurostaaten diese unterschiedlichen Risiken nicht mehr. Und das liegt an einer Entscheidung der Europäischen Zentralbank während der Pandemie, für die sie weithin gefeiert wurde. Damals, gibt Brooks zu bedenken, warf die EZB die Kapitalgewichtung aus dem Fenster. Das ist vereinfacht gesagt jene Regel, nach der sie im Rahmen ihrer quantitativen Lockerung Staatsanleihen aufkaufte, um den Zinsdruck von den Staaten zu nehmen. Die Kapitalgewichtung, auf Englisch Capital Key, sollte dafür sorgen, dass die EZB nicht übermäßig viele Papiere schwächerer Staaten aufkauft, sondern eben alles anteilig, gewichtet nach ihrer Größe.

Ohne den Zügel der Kapitalgewichtung begann die EZB, verstärkt Anleihen des „Club Med“ aufzukaufen. Sie wirken damit auf künstliche Weise stabiler, als sie es würden, griffe ihnen die EZB nicht unter die Arme. Aber damit verwischt sie die Grenzen zwischen Geldpolitik (ihrer Domäne) und Fiskalpolitik (wo sie nichts zu suchen hat). „Es kann nicht sein, dass die EZB über die Hintertür diese Länder finanziert“, warnt Brooks. „Das wird sich rächen“, verweist er auf die politischen Konsequenzen. Man muss dafür nur in die jüngere Geschichte der EU blicken: einer der Gründungsmythen der „Alternative für Deutschland“ war in den Jahren 2012/2013 bekanntlich die ihrer Ansicht nach illegale Manier, mit der während der Eurokrise innerhalb der Währungsunion grenzüberschreitend für nationale Schulden eingestanden wurde.

Doch zurück zu den EU-Verteidigungsbonds. Warum sind die keine gute Idee, Herr Brooks? „Weil wir damit die Verschuldung auf andere Bilanzen verschieben. Ich sehe das sehr kritisch. Die normalen Bürger verstehen das alles nicht mehr. Der Veröffentlichung der Daten ist sehr intransparent.“ Davon könnte ich jedes Mal ein Klagelied singen, wenn ich versuche, mir über den Auszahlungsstand des Corona-Aufbaufonds ein Bild zu machen.

Zudem, gibt Brooks zu bedenken, tut sich im Lichte der jüngsten Einigung auf neue, flexiblere Maastricht-Kriterien für Defizit und Verschuldung der EU-Mitglieder ein Widerspruch auf. „Zum Einen sagt die EU: Verschuldung ist gar kein großes Problem, zum Anderen aber lautet die Botschaft: wir müssen gemeinsam Anleihen emittieren. Das widerspricht sich ja.“

Letztlich führe kein Weg daran vorbei, die hohen Schuldenquoten von Ländern wie Spanien, Italien oder Griechenland zu verkleinern. Die neuen Fiskalregeln seien „bloß eine Rechtfertigung des Status Quo“, kritisiert Brooks. Und das habe schwerwiegende Folgen: „Wenn wir wieder einen großen Schock erleben, und die kommen leider alle paar Jahre, wird die EZB wieder Anleihen dieser Länder aufkaufen müssen. Damit rutscht sie mehr und mehr in die Rolle, diese Schuldenstände finanzieren zu müssen.“

Aus dieser Schuldenfalle könnten nur die berühmt-berüchtigten „frugalen“ Mitglieder der Eurozone die EZB retten. Also die Niederlande, Österreich, mit Abstrichen Deutschland. „Denn das läuft total gegen das, was sie erwarten, nämlich die Trennung von Fiskal- und Geldpolitik.“ In Krisenzeiten sind die Frugalen aber stets politisch in der Defensive: „In guten Zeiten tut sich bei der Schuldenfrage nichts, und wenn die Krise kommt, ist es nicht tragbar, dass Deutschland und die anderen Frugalen nein sagen.“

Übrigens: Eurostat hat am Dienstag eine offene Stelle für einen Statistiker veröffentlicht – mit Spezialisierung „Verfahren bei übermäßigem Defizit.“

Eine dennoch möglichste sorgenfreie zweite Wochenhälfte wünscht Ihnen

Oliver Grimm

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