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Die „Gen Z“ geht früh zu Bett – und verschläft das Leben

Schlafen statt feiern: Es gibt dafür Erklärungen, aber keine guten Gründe.
Schlafen statt feiern: Es gibt dafür Erklärungen, aber keine guten Gründe. Getty
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Ein beunruhigender Trend zur Ruhe: Die Jungen gehen abends nicht mehr aus, weil sie lang schlafen wollen. Wozu soll das gut sein?

Fahren Trendforscher eine Kampagne gegen die heutige Jugend? Was haben ihre Statistiken nicht alles Schockierendes gemessen! Die 15- bis 30-Jährigen haben angeblich kaum noch Sex, rauchen nicht und trinken viel weniger Alkohol als frühere Kohorten. Kann das wahr sein? Aber es passt zu dem, was uns im Alltag auffällt: Jugendliche hören, mit stolzer Überzeugung, weichgespülten Mainstream, und sie tragen, unübersehbar, aus freien Stücken große Brillen, ein von ihresgleichen traditionell verhasstes Symbol sittlicher Strenge.

All dies macht auf die Älteren den Eindruck, hier wachse eine kreuzbrave, lammfromme, angenehm angepasste Generation heran. Der Geist der Revolte packt die Jungen allenfalls, wenn sie beim ersten Arbeitgeber auf die Work-Life-Balance pochen. Aber auch damit können sie uns nicht mehr beeindrucken. Weil wir nun erfahren: Es handelt sich eher um eine Work-Sleep-Balance. Denn am Feierabend lockt sie nicht freudige Freizeit, sondern schnöder Schlaf.

Die Nachricht kommt aus Amerika. Das „Wall Street Journal“ referiert Daten von Buchungsportalen, wonach sich Gaststätten für juveniles Publikum leeren, wenn sie sich früher füllten, zur gewohnten gastronomischen Primetime ab 20 Uhr. Und von einem großen Bettenhersteller, der meldet: Die jüngsten Kunden legen sich immer früher in seine Produkte – vor einem Jahr im Schnitt um 22:18 Uhr, jetzt schon um 22:06 Uhr.

Man fragt sich: Warum? Der frühe Vogel fängt den Wurm, aber wer darauf erpicht ist, Würmer zu fangen, muss einen Vogel haben. Doch um zeitiges Aufstehen geht es nicht: Die wollen einfach länger schlafen. Weil ihnen gleichaltrige Wichtigtuer auf TikTok und Instagram einreden, sie würden dann schöner aussehen, gesund bleiben und erfolgreicher sein.

»Gleichaltrige Wichtigtuer reden ihnen ein, sie würden dann schöner aussehen, gesund bleiben und erfolgreicher sein.«

Mag ja stimmen. Aber wozu, wenn keine wache Zeit mehr bleibt, um die Früchte des Wohlverhaltens zu ernten? Der Abend ist der beste Teil des Tages, fürs Treffen von Freunden, für Partys und Konzerte, für Lachen und Liebe. Wie soll man das alles in drei Stunden pressen, in denen auch noch Abendessen, Sport und Aufräumen stattfinden müssen? Flach wie eine Matratze fällt auch das nächtliche Feiern am Wochenende, das immer ein Privileg und Distinktionsmerkmal der Jugend war, weil den Älteren dazu die Kondition fehlt. Die müssen jetzt nicht mehr neiderfüllt auf lange Schlangen vor coolen Clubs schielen. Denn statt Saturday Night Fever ist bei ihren Nachfolgern wohltemperiertes Netflix-Chillen angesagt. Und früh schon heißt es: husch, husch ins Bettchen.

Erklärungen gibt es, Kolleginnen aus der Altersklasse liefern sie mir: Wer zur Zeit der Corona-Maßnahmen 15 bis 17 war, hat den Initiationsritus der ersten durchfeierten Nächte versäumt und kann nun mit dem Konzept des Ausgehens nichts anfangen. Für die Anbahnung von Kontakten braucht es nicht mehr den Fleischmarkt von Bars, in denen erst spätabends was los ist. Stattdessen macht man sich auf Tinder ein Frühstückdate aus. Aber Erklärungen sind noch keine guten Gründe. Und weil ihr Jungen ja so gern auf Studien hört: Erwiesen ist auch, dass man abends kreativer ist. Dann ermüdet der präfrontale Cortex, der unkonventionelle Gedanken aussortiert – was Platz für Neues schafft.

Sollen wir euch den antiken Theologen Origenes ans Herz legen? Er hielt Schlaf für eine Strafe, eine Folge des Sündenfalls, so wie Arbeit und ähnliche Ärgernisse. Aber da ihr mit christlichen Weisheiten wenig am Hut habt, folgt diesem schlichten Rat: Schlafen könnt ihr, wenn ihr tot seid.

E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

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