Interview

Michael Köhlmeier: „Diese Idee junger Linker gab es bei den Nazis auch“

„Lenin wurde fast ein Heiligenschein aufgesetzt“: Der österreichische Autor Michael Köhlmeier.
„Lenin wurde fast ein Heiligenschein aufgesetzt“: Der österreichische Autor Michael Köhlmeier.Eugenie Sophie
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Geschichtsblindheit in der Linken ist ein Thema von Köhlmeiers neuem Roman „Das Philosophenschiff“: Der österreichische Autor über einstige Liquidier-„Spiele“ unter Studenten, seine Tschekisten-Lederjacke und die Grazer Kommunisten.

Die Presse: „Philosophenschiffe“ nannte man einige Schiffe, mit denen das bolschewistische Regime Intellektuelle ins Exil verbannte. Ein fiktives solches Schiff steht im Mittelpunkt Ihres neuen Romans, mit Lenin als Passagier. Es geht im Roman außerdem um Geschichtsblindheit linker Nachgeborener. Ist das auch Selbstkritik?

Michael Köhlmeier: Ich muss mich schon an der eigenen Nase nehmen, ich war selbst sehr links. Den meisten Linken war der Stalin natürlich immer peinlich, der stand für die Späne, die beim Hobeln fallen, so wie ein Robespierre. Aber die Revolution selbst stellten viele nicht infrage. Wenn jemand heute Lenin als den Guten sieht und Stalin als den Bösen oder gar Trotzki als den Guten und Lenin als den Bösen, ist das geschichtsblind. Viele Linke haben sich auch eingeredet, dass die sogenannte „Oktoberrevolution“ eine Revolution war, eine Volkserhebung. Tatsächlich war es der Putsch einer straff organisierten Partei. Als ich jung war und in Marburg an der Lahn studierte, wurde Lenin fast ein Heiligenschein aufgesetzt, er habe ja vor Stalin gewarnt …

Ein Verbannter im Roman jubelt, als Stalin kommt: „Jetzt wird alles gut!“ Wie das?

Ich war selbst erstaunt zu lesen, dass etliche, die damals aus Russland ausgewiesen wurden, auf Stalin hofften. Die sagten, der wird das Unrecht rächen! Er hat ja auch etliche von Lenins Terrorverantwortlichen umbringen lassen.

Eine weitere Ebene im Roman handelt von einer Revolution „spielenden“ westlichen Nachkriegsgeneration. Ein Freund des Ich-Erzählers wird, als er aus dem „Kommunistischen Bund Westdeutschland“ aussteigt, einem gefährlichen „Liquidierungsspiel“ unterzogen. Hat das einen realen Hintergrund?

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